Mademoiselle Baudelaire (Splitter)

Januar 24, 2022

Paris, 31. August 1867. Die Beerdigung von Charles Baudelaire. Zu Lebzeiten ein halbwegs bekannter Dichter und Schriftsteller. Abseits der überschaubaren Trauergemeinde steht eine Frau, ärmlich und krank aussehend, sich auf einem Stock stützend. Niemand der Trauergäste beachtet sie, doch ist sie den meisten, darunter der Mutter Baudelaires, die ihren Sohn um vier Jahre überleben sollte, nur allzu gut bekannt. Denn bei der bedauernswerten Gestalt handelt es sich um Jeanne Duval, zwei Jahrzehnte lang Muse und Geliebte Baudelaires. Sie schreibt danach einen Brief an die Mutter, mit einer speziellen Bitte, und schildert ihr darin – und damit auch uns – die Geschichte ihrer turbulenten, romantischen und letztlich auch selbstzerstörerischen Beziehung.

Charles Baudelaire wurde 1821 in Paris geboren. Sein Vater starb früh. Dem neuen Mann seiner Mutter gegenüber, einem Offizier, empfand er stets größte Abneigung. 1842 begegnet er erstmals Jeanne, die kleine Rollen im Theater spielt. Sofort vernarrt er sich in die Dame – und in deren Exotik. Denn Jeanne stammt aus Haiti – bis heute ist unklar, wann genau sie geboren wurde, ob Duval ihr richtiger Name war und auch das Datum ihres Todes ist nicht gesichert. Sie wird mit ihrer dunklen Haut als „Mulattin“ bezeichnet. Die Freunde Baudelaires aus der Kunstszene und der Bohème treten ihr, der „schwarzen Venus“, offen rassistisch gegenüber. Man betrachtet die beiden nicht ernsthaft als Paar, eher als Hure und Zuhälter. Für sie ist Jeanne ist Kuriosum, dass sich Baudelaire gegen alle Konventionen „hält“.

Der Belgier Yslaire (d.i. Bernard Hislaire), Autor und Zeichner, bekannt durch seinen Dauerbrenner „Sambre“, den er seit 1986 zeichnet und später auch schreibt (samt diverser Ableger) stellt in seinem monumentalen Band die Beziehung Baudelaires und Jeannes in den Mittelpunkt. Natürlich werden die wichtigsten Eckdaten des Lebens des Autors von „Die Blumen des Bösen“ mit eingebunden, ebenso wie die historischen Ereignisse, die wie die Februarrevolution von 1848. Baudelaire tritt als Lebemann auf, lässt sich von gesellschaftlichen Strömungen wie der Bohème beeinflussen und leiten, so gibt er später den Dandy und während der Revolution den einfachen Arbeiter. Immer unstet, immer unzufrieden. Und immer lebt er über seine Verhältnisse, verschuldet sich, veröffentlicht kaum Gedichte, die er im Kreise seiner Künstler-Freunde gerne rezitiert.

Die Beziehung zu Jeanne ist wahlweise heißblütig – mit ihrer offenen Sexualität pfeift sie auf gesellschaftliche Normen und „gute Sitten“ und pflegt damit auch ihr exotisches Image. Er widmet ihr erste Gedichte, lässt sich inspirieren. Dann, wenn die beiden unter einem Dach wohnen, was in Abständen des Öfteren geschieht, gibt es immer wieder Streitereien, die in offener Feindseligkeit und schroffen Beleidigungen münden. Später werden beide ruhiger. Und kränker. Die Syphillis hielt längst Einzug in ihre On/Off-Beziehung, in der beide letztlich nicht voneinander lassen können. Charles veröffentlicht endlich seine Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen“ und muss gleich darauf miterleben, dass sechs Gedichte daraus verboten werden (übrigens bis 1949).

Yslaire gestaltet sein Werk in seinem typischen Stil, der auch „Sambre“ auszeichnet: Weiche Zeichnungen in monochromen Farbtönen, kein einfaches Schwarz-Weiß, dazwischen immer wieder Farbakzente. Erotische Episoden, immer wieder ganzseitige geradezu dämonische Collagen, Sinnbilder, in denen Baudelaire in Jeanne mehr weit sieht als seine Geliebte oder seine Muse. Seine künstlerisches Schaffen tritt in den Hintergrund, nur Edgar Allan Poe, dessen Werke er ins Französische übertragen hat, wird in einer frühen Episode von Yslaire antizipiert, als er den jungen Baudelaire das Krächzen eines Raben als „Nimmermehr/Nevermore“ interpretieren lässt. Später zitiert er – durchaus passend und angemessen – Spitzwegs Gemälde des armen Poeten, das einmal mehr eine verzweifelte Lage Baudelaires veranschaulicht.

Charles Baudelaire ist einer jener tragischen Dichter und Schriftsteller, die ihren Ruhm nicht zu Lebzeiten erfuhren. Sein selbstzerstörerisches Dasein wurde in weiten Teilen begleitet und bestimmt von Jeanne, von diffuser Herkunft und einem weitestgehend unbekanntem Ende. Wie eine Muse, die einen küsst. Nur dauerte dieser Kuss 20 Jahre und wurde immer wieder zu einem Biss. Am Ende des kunstvollen Bandes, der den einen oder anderen Gelegenheits-Comicleser überfordern mag und der Interesse am Künstler und an seiner Zeit voraussetzt, wird es ruhiger. Charles und Jeanne sind sichtlich gealtert, gezeichnet von ihrem Leben und ihrer Beziehung. Vielleicht auch etwas weiser. Und am Schluss wartet eine leise, schon beinahe wieder versöhnliche Pointe. (bw)

Mademoiselle Baudelaire
Text & Bilder: Yslaire
160 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
39,80 Euro

ISBN: 978-3-96792-198-4

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