„Komm irgendwie mit mir klar“ mag die unterschwellige Botschaft des ersten Bandes von Mind MGMT an seine Leserinnen und Leser gewesen sein. Denn was da auf sie zukam, war komplex, wild, fand auf unterschiedlichen Ebenen statt und war damit so ganz anders als der übliche Comic-Mainstream, sowohl was Präsentation als auch Story betrifft: Es geht um eine weltumspannende Geheimorganisation namens Mind Management, die die Geschicke des Planeten beeinflussen und sogar entscheidend verändern vermag, mit Agenten mit besonderen übersinnlichen Fähigkeiten. Die etwa unsterblich sind, die nach Belieben das Gedächtnis von Personen teilweise oder ganz löschen können, die 15 Minuten in die Zukunft sehen, oder mit Tieren kommunizieren können. Am Ende des Bandes war die Mind MGMT vermeintlich aufgelöst und ihre Agenten führerlos über dem Erdball zerstreut. Und alle, die den anspruchsvollen, dicken Band gelesen und verstanden haben, waren massiv geflasht.
Nun geht es mit dem zweiten (von 3) dicken Sammelbänden weiter. Und mit Meru Marlow, unserer Hauptakteurin, die inzwischen mit Bill, auch ein Ex-Agent, zusammen ist. Sie gerät zwischen die Fronten zweier Gruppen aus anderen ehemaligen Agenten: jene um den Radierer, einer Frau, und jene um Henry Lyme (nein, nicht der Dritte Mann). Der Radierer will das Mind MGMT neu gründen und Lyme will genau das verhindern. Dazu versuchen beide Ex-Agenten zu rekrutieren, sei es in Nepal oder in Berlin. Doch bis Meru in den Mittelpunkt der Story gerät, muss jene erst ins Rollen kommen und „zusammengesetzt“ werden. So werden wir zuerst Zeuge eines Straßenfestes, lernen die Nachbarn kennen, die allesamt gut 100 Seiten später im furiosen Finale des ersten Zyklus in diesem Band ein bitterböses Erwachen erleben. Dann erfahren wir, wie oft Lyme Merus Gedächtnis gelöscht hat und Details aus dem Vorleben des Radierers. Bald setzen sich die Fäden der Story zusammen und schließlich treffen die Rivalen aufeinander.
Der zweite Zyklus in diesem Band fokussiert sich dann weiter auf die Rekrutierungen der ehemaligen Agenten. Oder besser: die Rekrutierungsversuche. Denn einer davon geht gehörig schief, was in einer offenen Konfrontation und damit in einer weiteren Katastrophe mündet… Der Aufbau der Kapitel, also der ursprünglich einzelnen US-Hefte, ist inzwischen bekannt: Der eigentlichen Story voran steht ein Rückblick auf die Historie des Managements, bzw. derer Agenten, ihrer Fähigkeiten und ihres Verbleibs. Und am Ende gibt es jeweils eine Fallakte („Feindliche Agenten“) oder einen Ausflug in diverse Safe Houses des Managements, was beides nicht selten Ausblicke auf die kommende Handlung gibt. Dann stehen auch wie gehabt am Rande der Seiten wieder Anmerkungen, Auszüge oder Kommentare, die ebenfalls direkt oder indirekt mit der Story korrelieren. Comic-Einsteiger sind hier wohl einmal mehr überfordert, aber die Routiniers mögen frohlocken.
Durchzogen ist komplexe Story auch immer wieder von Anspielungen, Verweisen oder Hommagen: Ein Mann, der verdächtig David Lynch ähnelt, der hier Leland heißt und für den Mord an seiner Tochter verhaftet wird (na, klingelt‘s?); oder ein Autor mit einer Namensähnlichkeit mit PhiIip K. Dick, der als eine Art „Man in the High Castle“ mitwirkt; oder Anleihen an den zu Unrecht viel gescholtenen Filmklassiker „Freaks“ von Tod Browning. Auch die Stilmittel, die Matt Kindt hier auffährt sind wieder originell: So ist das Gesicht des Autors nur mit Bleistift gezeichnet und bleibt diffus. Ein actionreicher Kampf ist nur mit Gedankenblasen versehen, was eine ganz andere Dynamik erzeugt. Später arbeitet er mit schwarzen Panels und erzählt eine Parallelhandlung auch optisch streng parallel, was mit zertrennten Seiten visualisiert wird. Faszinierend. (bw)
MIND MGMT, Band 2: Die Hausfrau und die Magierin
Text & Bilder: Matt Kindt
340 Seiten in Farbe, Hardcover
Skinless Crow
49,90 Euro
ISBN: 978-3-03963-012-7