Jack the Ripper (Splitter)

Dezember 27, 2013

Jack the Ripper

Serienmörder gehen immer – und um kaum einen anderen Vertreter dieses Metiers ranken sich mehr Mythen und Theorien als um den Durchgeknallten, der im London des späten 19. Jahrhunderts diverse leichte Mädchen auf abscheulichste Art und Weise erst ins Jenseits beförderte und dann nach allen Regeln der (chirurgischen?) Kunst regelrecht ausweidete. Maßgeblichen Anteil an dieser andauernden Faszination hat zweifelsohne die Tatsache, dass der Täter trotz seiner Dreistigkeit und seiner provozierenden Briefe an Scotland Yard (stets signiert mit „from hell“ und einem höhnischen „catch me if you can“) nie gefasst wurde. Ein Mitglied der königlichen Familie sei es, oder der Hofarzt Dr. Gull, oder einfach nur ein Psychopath, der seinen pathologischen Hass auf Frauen in brutalster Form auslebte. Stoff genug also für zahlreiche Verfilmungen, und auch im Medium Comic durfte man davon ausgehen, dass eigentlich alles gesagt war: in seiner üblichen, unglaublichen Akribie und Kenntnis schuf Alan Moore mit From Hell ein monumentales Panorama des viktorianischen England und seines wohl infamsten Verbrechers. Umso überraschender ist es, dass Francois Debois tatsächlich das Kunststück gelingt, neue Facetten in die sattsam bekannte Story zu bringen.

In seiner Fassung gibt ein sterbender Inspektor Frederick Abberline zu Tagebuch-Protokoll, dass er selbst Jack the Ripper sei – eine zunächst schwerlich glaubhafte, neue These, die Debois im Anschluss allerdings durchaus überzeugend ausbreitet. Nach den ersten Morden, die auch in dieser Fassung von Dr. Gull und seinem Assistenten John Netley begangen wurden – allerdings in fremdem Auftrag von durchaus unerwarteter Seite – stellt sich heraus, dass es nicht nur einen Jack, sondern zahlreiche „Ripper“ gibt, die in England, Frankreich und sogar den USA ihr Unwesen treiben, auch lange nachdem die ersten Whitehall-Vorfälle längst geklärt scheinen. Abberline reist nach Paris, wo er sich alsbald im Zentrum eines Komplotts wieder findet, das in vordergründig wissenschaftlicher Mission die Hypnose als Heilmittel gegen „Hysterien“ erforscht und dabei Menschen nicht nur zu willenlosen Marionetten, sondern auch zu kaltblütigen, psychotischen Mördern macht.

Neben den komplexen, aber immer dichten und faszinierenden Story überzeugt dieser Beitrag zu einem eigentlich übervölkerten Sujet durch die atmosphärisch stimmige Inszenierung durch den Neuling Jean-Charles Poupard, der sein London und Paris von 1888 Jahre eng angelehnt an David Leans Oliver Twist, diverse Horrorklassiker, Jack the Ripper-Filme und Martin Scorseses Gangs Of New York durchgehend schmutzig-neblig ausbreitet. Gerade im Bau befindliche architektonische Meilensteine wie die Tower Bridge oder der Eiffelturm geben nicht nur historisches Kolorit von Metropolen an der Schwelle zur Moderne ab, sondern bilden jeweils den Schauplatz dramatischer Wendepunkte der Story. Farblich dominieren düstere Pastelle, kontrastiert mit knalligem Blutrot, in teilweise großflächigen, expressiven Panels. Bei allem Realismus bleibt immer genügend Raum für Stilisierung, um optisch eine gelungene Mischung aus historischer Verortung und dramatischer Überformung zu erschaffen.

Splitter legt die beiden Bände Blutsbande und Das Hypnose-Protokoll in einer Doppelausgabe (das neue Double-Format, siehe Asgard) vor, so dass dem Lesevergnügen keinerlei Grenzen gesetzt sind. (hb)

Jack the Ripper
Text: Francois Debois
Bilder: Jean-Charles Poupard
112 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22,80 Euro

ISBN: 978-3-86869-694-3

 

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