Klassiker der Filmgeschichte (Splitter)

November 28, 2023
Klassiker der Filmgeschichte (Splitter Verlag)

Einmal in einem wilden Aufgalopp durch die Filmgeschichte, das ist wahrlich kein kleines Unterfangen. Immerhin sind seit dem 22. März 1895, als die Brüder Lumière einem ausgewählten, staunenden Publikum die bewegten Bilder der Arbeiter vorführten, die gerade die Lumière-Fabriken verlassen (wäre heute nicht mehr möglich, Datenschutz!), ein paar Tage vergangen – und damit epochemachende Werke, Moden und Meilensteine. Die Macher Elsa Gambin und Alexis Thébaudeau nähern sich diesem ambitionierten Projekt in einer äußerst gelungenen Form: zu jeweils einem Maßstäbe setzenden oder Genre definierenden Schlüsselwerk, angefangen von George Méliès „Le Voyage dans la Lune“ von 1902 bis hin zu James Camerons „Avatar“ von 2009, erzählen die beiden in Comicform jeweils eine kurze Anekdote, Schlüsselszene oder spannende Hintergrund-Information, die dann ergänzt wird durch einen eher enzyklopädischen Eintrag über Zeit, weiteres Werk des Regisseurs oder den geprägten Stil, stets garniert mit einem Buch- oder Film-Tipp.

So etwa erfahren wir, dass der Pionier Méliès zwar ein genialer Filmemacher, aber schlechter Geschäftsmann war, dem ein gewisser Edison Filme und Technik klaute, worauf Méliès enttäuscht seine Filme verbrannte und erst Anfang der 1930er auf dem Bahnhof von Montparnasse von Vertretern der damals aufkeimenden französischen neuen Kinos als Betreiber eines Spielwarenladens entdeckt wurde, was Martin Scorsese in seinem wunderbaren „Hugo Cabret“, auf den natürlich verwiesen wird, aufgriff. Als Startpunkt der modernen Science Fiction kommt natürlich Fritz Langs visionärer, epochaler kommerzieller Fehlschlag „Metropolis“ zur Sprache, bei dem sich die Comic-Episode auf die Entstehungsgeschichte bezieht – wobei deutlich wird, dass Gambin und Thébaudeau ihre Hausaufgaben gemacht haben: anders als in der jahrzehntelang von Lang kolportierten Version war das Drehbuch schon längst in Arbeit, als Lang und Pommer 1924 in die USA reisten, um die dortige Filmindustrie zu studieren.

Die Comicgeschichte gibt dies treffend wieder und baut dabei auch eine seinerzeit in der Fachpresse zu PR-Zwecken lancierte Photographie ein, die Lang und Harbou in ihrem Haus in Berlin bei der konzentrierten Skriptarbeit zeigt, während die Lexikon-Einträge auf Lang und den Einfluss seines Werks (z.B. auf die Droiden in Star Wars oder die Stadtansichten in Blade Runner), aber auch seine Hauptdarstellerin Brigitte Helm eingehen. Die harten Schnitte, die der Film durch den Einfluss der amerikanischen Mitgeldgeber erlitt und die der Handlung jeglichen Sinn nahmen, kommen zwar etwas zu kurz, aber das sei hier einmal verziehen, das lässt sich ja in einschlägigen Metropolis-Aufsatzsammlungen nachlesen. Mit „Gone with the Wind“ darf natürlich einer der größten Kassenschlager aller Zeiten mit seiner bewegten Produktionsgeschichte (inkl. der Verbrennung der Kulissen von King Kong als Brand von Atlanta sowie dem überraschenden Casting von Vivien Leigh) nicht fehlen.

Mit Hitchcocks „Psycho“ lernt man Spannendes über den ersten vom Meister selbst so genannten „Schocker“ der Filmgeschichte: in einem geschickten Katz-und-Maus-Spiel mit der Zensur, der man ganz bewusst überzogene Zeilen als Streichkandidaten und damit Köder hinhielt, brachten Hitch und seine Frau Alma Reville die damals Skandal trächtigste Szene über die Ziellinie – nicht etwa die legendäre Dusch-Szene, sondern eine Einstellung einer Toilette, was Ende der 50er noch als maximal anrüchig galt. Nach Ausflügen in den italienischen Neorealismus („Fahraddiebe“), die Nouvelle Vague („A Bout de Souffle“) und den französischen Kultfilm („Die Ausgebufften“ mit Gérard Dépardieu) erfahren wir, mit welchem Kniff George Lucas die sensationelle Enthüllung am Ende von „The Empire Strikes Back“ vor den eigenen Schauspielern geheim hielt (Tipp: der berühmte Satz „I am your father!“ wurde nachsynchronisiert und war nicht einmal dem Darth Vader-Darsteller David Prowse bekannt) und dass das liebevoll „Bruce“ genannte Hai-Modell in Spielbergs „Jaws“ partout nicht funktionieren wollte, weil es Salzwasser nicht vertrug.

Ganz nebenbei lernen wir, dass der mittlerweile geläufige „Blockbuster“ eigentlich eine Bombe mit hoher Sprengkraft war – again what learned! So geht diese äußerst unterhaltsame Reise durch die Filmgeschichte in zwei Teilen dahin, zweimal von den Anfängen bis hin zur Moderne, was in Teil 2 von „Panzerkreuzer Potemkin“ über „Citizen Kane“ bis hin zu James Camerons CGI/3D-Meilenstein „Avatar“ reicht. An Informationsfülle, aber auch an Unterhaltungswert kaum zu überbieten, liefert das Kompendium somit für Gelegenheits-Kino-Gänger sicherlich spannende Einsichten, aber vor allem Cineasten dürften hier eine ganzes Füllhorn von Anekdoten und Motiven finden, jeweils umrahmt von Lese- und Film-Tipps, die den Spaß noch ausweiten. Mit einer ganzen Schar von Zeichnern öffnet sich daneben noch ein breites Spektrum von optischer Umsetzung, die die jeweiligen Comic-Episoden ziert. Und jetzt alle zusammen: „Wir werden ein größeres Boot brauchen…“ (hb)

Klassiker der Filmgeschichte
Text & Story: Elsa Gambin, Alexis Thébaudeau
Bilder: diverse
192 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
35 Euro

ISBN: 978-3-98721-159-1

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