Farbenfroh ist Gotham ja nie so richtig, aber für Dick Grayson wird die Sache langsam richtig finster. Nachdem er ja nach der Final Crisis (Megaevent, nichts ist mehr wie vorher, wir kennen das Spiel) die Spitzohrmaske von Bruce Wayne übernommen hat, sorgt er nun mit dem neuen Red Robin Tim Drake an seiner Seite für Recht und Ordnung – soweit dies halt eben geht. Denn die Fieslinge schlafen keinesfalls: ein skrupelloser Hehler, der auf den klingenden Namen „Dealer“ hört, veranstaltet an ständig wechselnden Orten für ein so sensationslüsternes wie zahlungskräftiges Klientel Versteigerungen. Verkauft wird dabei nicht irgendetwas, sondern Artefakte, die von Kriminellen aller Couleur verwendet wurden. Unter der Maske eines Interessenten schleicht sich Batman in einen dieser makabren Events ein, wo ein Stemmeisen feilgeboten wird, mit dem der Joker angeblich Jason Todd in der Maske des damaligen Robin erschlug. Die Tarnung fliegt auf, und Batman sieht sich, vollgepumpt mit Nervengas, einem Kontrahenten gegenüber, der sich mit der Droge aufputscht, die einst auch Killer Croc hervorbrachte…
Szenenwechsel: Polizeichef Gordon wird von alptraumhaften Visionen verfolgt, die sich bald als durchaus begründet herausstellen. Schließlich ist sein Sohn James in die Stadt zurückgekehrt, den eine zwielichtige Historie von seinem Vater und seiner Schwester Barbara entfremdet hat. Schon von Jugend auf traf viele, die seinen Weg kreuzten, ein grausames Schicksal, und nicht zuletzt Barbara ist davon überzeugt, dass ihr Bruder, der sich selbst offen als Psychopathen bezeichnet, damit etwas zu tun hat. Aber James hat sich angeblich in Behandlung begeben und ist auf dem Weg der Besserung – als plötzlich neue Morde die Stadt erschüttern, die seine Handschrift zu tragen scheinen…
Finanzkrise mal ganz anders: als die höchst erfolgreiche Gotham Global Modern Bank eines Morgens ihre Pforten öffnet, liegt darin ein riesiger toter Killerwal. Als Dick den gewaltigen Orca in den Wayne-Labors untersucht, macht er einen grausigen Fund: der Wal hatte eine Frau bei lebendigem Leibe verschlungen. Das Opfer stellt sich als Evelyn heraus, persönliche Assistentin der Bankchefin Sonia Branch – mit der Dick eine dunkle Vergangenheit verbindet: denn Frau Branch heißt eigentlich Zucco und ist niemand anders als die Tochter des Gangsters Anthony Zucco, der einst für den Tod von Dicks Eltern in der Zirkuskuppel verantwortlich war. Batman konfrontiert die Dame, die ihn überzeugt, im Gegensatz zu den kriminellen Ambitionen ihres Vaters nicht in krumme Geschäfte verwickelt zu sein – was genau ihre eben Ärger mit Gothams Unterwelt eingebrockt hat. Über eine erste Spur zu einem Hehler namens Roadrunner kommt Batman dann zu Tiger Shark, dessen Unterwasserschiff vor der Küste ankert und der die Chose arrangiert hat – zumindest hat dies den Anschein…
In diesem Story-Run aus Detective Comics konfrontiert Autor Scott Snyder in wohltuend direkter Erzählweise die Protagonisten jeweils mit Abgründen ihrer Vergangenheit und ihrer eigenen Seele: da muss sich Dick Grayson fragen, ob er der Rolle als Batman überhaupt gerecht werden kann – immerhin agiert er viel menschlicher, empathischer (Gordon stellt überrascht fest: „Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass Du am Ende unseres Gesprächs noch da bist“) und sogar fürsorglicher als sein Vorgänger, der das Verbrechen in jeder Form ausmerzen wollte. In Form von Sonia Zucco tritt ihm seine eigene Lebensgeschichte entgegen, von der er sich prompt – spoiler ahead – blenden lässt.
Auch Polizeichef Gordon durchlebt ähnliche Nöte: widerwillig gelangt er von rigoroser Ablehnung seines Sohnes hin zu einem prekären Vertrauensverhältnis, in das er als Unterhändler auch Dick einbezieht – und das (nächster Spoiler) bitter enttäuscht wird. Dabei punktet nicht zuletzt die Inszenierung von Jock („Green Arrow: Das erste Jahr“) in ihrer stilisierten, kantigen Manier, die einen wirkungsvollen Kontrast zur eher Cartoon-artigen Ausführung von Francesco Francavilla („Batwoman“) liefert. Alles in allem eine faszinierende, charakterlich komplexe Sammlung von vier Stories rund um das Thema Zerrbilder (der Titel „Black Mirror“ ist durchaus treffend gewählt), die sich allesamt wohltuend vom viel zu schwer lastenden Bat-Kanon abheben und auch bestens für sich selbst stehen können. Der vorliegende massive Band bringt die US-Ausgaben Detective Comics 871-881, ergänzt um diverse Cover-Entwürfe und bietet somit reichhaltig Lesestoff. (hb)
Batman: Der schwarze Spiegel
Text: Scott Snyder
Bilder: Jock, Francesco Francavilla
300 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
29 Euro
ISBN: 978-3-7416-1127-8