Spirou und Fantasio Gesamtausgabe, Band 8 (Carlsen)

April 17, 2018

Nach 22 Jahren das Ende einer prägenden Ära: Das was Carl Barks für Donald Duck war, bedeutete André Franquin für Spirou. Er nahm eine bereits existierende Comic-Figur, die heuer vor 80 Jahren erstmals das Licht der Comicwelt erblickte (und damit älter als Superman ist) und formte sie, gab ihr Tiefe und ein Umfeld, das bis heute in dieser Art und Form Gültigkeit besitzt. Barks erfand Figuren wie Onkel Dagobert und Daniel Düsentrieb, Franquin ergänzte Rob-Vels und Jijés Spirou um das Marsupilami und unseren Lieblings-Büroboten Gaston. Der aktuelle Band 8 der Spirou Gesamtausgabe enthält nun die letzten Abenteuer und Geschichten aus der Feder André Franquins, die zwischen 1961 und 1967 veröffentlicht wurden. Franquin-Fans haben damit die Reihe komplett, die jedoch nicht beendet ist: mit dem kommenden Band 9 erscheinen die ersten Spirou-Abenteuer des Franquin Nachfolgers Jean-Claude Fournier, dessen Eigenkreation „Bizu“ in einer dreiteiligen Gesamtausgabe bei der Konkurrenz von Egmont komplett vorliegt.

Nun aber noch ein letztes Mal Franquin, ehe sich dieser ganz Gaston und dem Marsupilami widmete. Der Band enthält die beiden Geschichten „QRN ruft Bretzelburg“ und „Schnuller und Zyklostrahlen“. Dazu kommt der 22 Seiter „Die Bravo Brothers“ und „Robinson auf Schienen“ – kein Comic, sondern eine illustrierte Erzählung, die im Rahmen der Spezial-Reihe auch als Einzelband vorliegt. Los geht’s mit „QRN ruft Bretzelburg“: Der Amateurfunker Bruno Ukaweh (!), der in unmittelbarer Nachbarschaft zu Spirou und Fantasio wohnt, hat einen ungewöhnlichen Gesprächspartner aufgetan: mit keinem Geringeren als König Ladislaus von Bretzelburg funkt er über den Äther. Bald bricht der Kontakt ab. Der König wird offenbar überwacht und ist ein Gefangener. Und dann wird auch noch Fantasio entführt – versehentlich! Spirou und Bruno, gefolgt vom Marsupilami, brechen in das kleine Land auf, um nach dem Rechten zu sehen und um Fantasio zu befreien. Und merken bald, dass General Schmetterling dort das Sagen hat und das Land völlig eigennützig in den wirtschaftlichen Ruin stürzt.

Die Entstehungsgeschichte von „QRN ruft Bretzelburg“, das 1961-1963 in Spirou veröffentlicht wurde, ist hochinteressant und wird hier dankbarerweise komplett dokumentiert: Zuerst wollte Franquin einmal mehr den Zyklotrop auftreten lassen, wogegen Verlagschef Dupuis höchstpersönlich intervenierte. Dann nahm Franquin wieder die Hilfe des bekannten Szenaristen Greg (Andy Morgan, Comanche, Luc Orient) in Anspruch, veränderte aber im Laufe der Geschichte dessen Skript. Und noch ehe die ersten Seiten von Greg eintrudelten, fing er in einem formidablen Vorgeplänkel an, das rein gar nichts mit der kommenden Story zu tun hatte. Diese Seiten, die nicht Bestandteil des Albums sind, sind hier im französischen Original, sowie in der deutschen Übersetzung enthalten. Und: mitten in der Geschichte brach Franquin das Album ab. Grund: er war erkrankt, hoffnungslos überlastet und depressiv. Erst mehr als ein Jahr später wurde QRN fortgesetzt. Auch die Artikel aus dem Spirou-Magazin, die den Lesern damals die Unterbrechung und dann die Fortsetzung ankündigten, kommen hier an der richtigen Stelle zum Abdruck.

Franquins Bretzelburg ist zweifelsohne Deutsch. Hier stehen Fachwerkhäuser, man pflegt wahlweise preußische oder k. & k. Militär-Traditionen, mit der Bretzpolizei ist eine Art Geheimdienst in Lodenmänteln auf den Straßen unterwegs und die Soldaten tragen Pickelhauben. Franquin spielt mit diesen Klischees und nimmt sie humoristisch aufs Korn, ohne sie jedoch breitzutreten und er widersteht der Versuchung, diese auszuschlachten. Am Ende entlarvt sich General Schmetterling selbst, in dem sich seine Waffen als billige, unfreiwillig komisch Imitate erweisen. 1965/1966 entstand das nächste Spirou-Abenteuer: „Die Bravo Brothers“ ist mit 22 Seiten nicht Album füllend. Die Geschichte spielt zum großen Teil im Verlagshaus Dupuis (bei uns natürlich Carlsen) und ist eine Ansammlung an Gags und Slapstick, für die drei Affen verantwortlich sind. Die kauft Gaston als Geburtstagsgeschenk für Fantasio aus der Konkursmasse eines Zirkus‘. Ihre formidablen Kunststücke (im Kontrast dazu ihr gleichgültiges Mienenspiel) sorgen gleichzeitig für Erheiterung und Chaos (quasi als „verlängerter Arm“ Gastons, der üblicherweise für solche Dinge zuständig ist), bis sich durch Spirous Hilfe die Situation klärt.

„Robinson auf Schienen“, 1964 veröffentlicht, ist kein Comic, sondern eine bebilderte Erzählung, die als Ergebnis einer Werbemaßnahme für die französische Staatsbahn SNCF entstand. Hier wurde Franquin massiv unterstützt (wieder bedingt durch Überlastung und Krankheit) von Kollegen, wie Magazin-Herausgeber Yvan Delporte und Zeichner Jidéhem. Dann, 1967, verabschiedete sich Franquin von Spirou und Fantasio, auf die er schon längere Zeit keine rechte Lust mehr hatte und die er als Belastung empfand. „Schnuller und Zyklostrahlen“ war sein Schwanengesang. Ein letztes Mal ließ er auch den Zyklotrop auftreten (jetzt also doch!), nur ganz anders: nicht als irren Wissenschaftler, sondern als mutiertes Riesenbaby, das vom Grafen von Rummelsdorf treu umsorgt wird. Beim Szenario halfen die Schlümpfe-Koryphäen Peyo und Gos mit (Franquin hatte zuvor im Gegenzug für Peyo den Monstervogel Krakakass entworfen). Das Ende der Story ist kurios, gibt es derer doch zwei. Einmal enden unsere Helden als vom Zyklostrahl versteinerte Statuen, doch dann geht es noch einmal unvermittelt weiter und endet doch noch versöhnlich. Für Franquin war damals zu seiner großen Erleichterung das Kapitel Spirou beendet. Er widmete sich fortan Gaston, schuf die „Schwarzen Gedanken“ und gab dem Marsupilami eine eigene Serie. Seine letzten Spirou Geschichten bleiben zeitlose Klassiker. (bw)

Spirou und Fantasio Gesamtausgabe, Band 8
Humoristische Abenteuer (1961-1967)
Text: Greg, André Franquin, Yvan Delporte, Gos, Peyo
Bilder: André Franquin, Jidehém
224 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
29,99 Euro

ISBN: 978-3-551-71628-6

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