Zugegeben: meine erste Begegnung mit den X-Men (als X-Team und Zweitstory in einem frühen Hulk-Heft aus dem Williams Verlag) verlief noch nicht überzeugend. Lag’s an der Mischung, die vielleicht zu viel des Guten war? Denn etliches, was die Marvel-Helden charakterisierte, war hier vermischt enthalten: die Schüler waren Teenager wie Spider-Man, Professor X.(avier) als körperlich Behinderter, der ähnlich wie Daredevil seine Benachteiligung durch Superkraft wett macht und dazu noch wie Reed Richards die irrsten Maschinen und Gerätschaften parat hält. Iceman sah zu Beginn aus wie das frühe Ding der Fantastischen Vier, nur in weiß. Und Superhelden-Teams gab es ja mit den Rächern und den FV sowieso schon. Auch durch die berüchtigten Taschenbuchreihen im Condor Verlag (als Gruppe X) wurde das Verhältnis nicht besser, auch wenn sich hier bereits weit mehr als die fünf Original X-Men tummelten. Denn die knappen deutschen Dialoge ließen keinerlei Tiefgang zu und verstümmelten die Storys durch rudimentäre Banal-Sätze.
Und doch gab es in der Condor-Ära (m)ein erstes X-Men Highlight: in der Reihe „Epic Comic-Collection“ erschien 1983 der Band „Verraten und verkauft“ von Chris Claremont und dem späteren „Astro City“ Zeichner Brent Anderson (später bei Panini adäquat als „Gott liebt, Menschen töten“). Ein Band, der Rassismus und das Dilemma der X-Men beschreibt, den Menschen helfen zu wollen und trotzdem als Außenseiter gebrandmarkt zu werden – Stichwort Mutanten. Auch Hollywood erkannte das Potenzial der Story, weshalb sie dann auch als Vorlage zum zweiten X-Men Kinofilm diente. Und dann kam schließlich Jim Lee, der auf spektakuläre Weise das X-Men Universum durchstartete… aber das ist eine andere Geschichte, die HIER nachzulesen ist.
Der mittlerweile dritte Marvel Klassiker Band (nach den Fantastischen Vier und den Rächern) widmet sich also ganz den X-Men und bringt ein Best Of von Geschichten der ersten 17 Jahre, die aufgrund der epischen Länge der Story Arcs (vor allem der späteren) auch als Appetizer dienen. Los geht’s natürlich mit der Origin-Story von 1963, in der Professor X und seine ersten Schüler, bzw. deren Fähigkeiten vorgestellt werden: Cyclops, Iceman, Beast, Angel und Marvel Girl. Auch Xaviers Nemesis ist schon im ersten Heft mit an Bord: Magneto, der auch gleich die Übermacht des Homo Superior anpeilt. Dem folgt mit der Ausgabe 9 ein frühes Crossover: das erste Zusammentreffen der X-Men mit den Rächern (Avengers sagt man hier noch nicht) – viel später sollte ein Konflikt zwischen beiden Teams im Mega-Event AvX münden, das noch nicht so lange her und uns noch in bester Erinnerung ist. Dann großer Sprung ins Jahr 1969, als die Reihe bereits kriselte und man schließlich Neal Adams für das X-Zeichenbrett gewinnen konnte, den man doch eher mit klassischen Batman-Abenteuern oder den „Hard-Travelling Heroes“ in Verbindung bringt. Autor war Roy Thomas, der sich später mit „Conan der Barbar“ noch ein eigenes Marvel-Denkmal setzte. Trotzdem konnte dieser letzte Qualitätsschub die Serie nicht retten, die 1970 schließlich endete.
Fünf Jahre später wurden dann mit „Giant Size X-Men 1“ von Len Wein und Dave Cockrum die X-Men 2.0 eingeführt, wodurch die Reihe wieder populär wurde – und bis heute ist. Eine internationale neue Truppe stellte sich vor: der Kanadier Wolverine, der russische Colossus und Kurt Wagner, alias Nightcrawler, aus Deutschland. Die „Wettergöttin“ Storm kam aus Kenia, Sunfire aus Japan, Banshee aus Irland und Thunderbird vertrat die amerikanischen Ureinwohner. Als einziger der alten Garde war Cyclops mit an Bord. Alle anderen X-Men, so wurde uns erklärt, seien auf der Insel Krakoa verschollen, als man einen mächtigen Mutanten aufspüren wollte. Die Story beindruckte weniger durch die Handlung (eine lebende Insel?) als durch die Einführung der „Neuen“ und die damit verbundene massive Erweiterung des Teams. Dann übernahm Chris Claremont die Reihe. Für die nächsten 16 Jahre (!). Die alteingesessenen X-Men verließen vorerst das Team und die Storys konzentrierten sich auf die bereits eingeführte Zweite Generation. Gleich zu Beginn sorgte Claremont für einen Paukenschlag und ließ Thunderbird beim Kampf mit Graf Nefaria sterben. Erneuter Zeitsprung, diesmal ins Jahr 1978 und anschließend nach 1980. Der Brite John Byrne hatte inzwischen die Reihe als Zeichner übernommen, die mit der epischen Dark Phoenix Saga einen weiteren Höhepunkt erreichte, von dem hier der letzte Teil enthalten ist, in dem Jean Grey stirbt.
Die gebotenen Zeichenstile sind höchst unterschiedlich: zuerst Jack Kirbys klassischer Stil, zeitlos mit seinen typischen futuristischen Maschinerien, heroenhaften Gesichtsausdrucken und dynamischen Figurenbewegungen. Dann Neal Adams, dessen Panels mehr in der Realität (und in den Siebzigern) verankert sind, mit unkonventionellen Seitenaufteilungen, wobei man ständig denkt, dass Batman gleich um die Ecke schaut. Dave Cockrums Stil, ist dagegen eher realistisch nüchtern, bestenfalls dem von Adams angelehnt, ohne allerdings dessen Klasse zu erreichen. Dann schließlich John Byrnes charakteristischer Strich, mit dem man später auch den zweiten Frühling der Fantastischen Vier (und deren neuen Kostüme) verbinden wird. Mit Claremonts Autorenschaft wurden die Geschichten länger und komplexer, erstreckten sich über etliche Hefte (Dark Phoenix Saga). Logisch, dass man in diesem Fall hier nur einen Auszug als Anschauungsobjekt bringen kann (wer komplett lesen will: die „Dark Phoenix Saga“ erschien zuletzt als Band 17 der „Offiziellen Marvel Comic Sammlung“). Für X-Freunde stellt Panini wieder eine auf 333 Stück limitierte Hardcover-Fassung zur Verfügung, die für 39 € über den Ladentisch geht. (bw)
Marvel Klassiker: X-Men
Text: Stan Lee, Chris Claremont, Roy Thomas, Len Wein
Bilder: Jack Kirby, Neil Adams, Dave Cockrum, John Byrne
244 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
24,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-768-6