Schöner Zufall? Gerade rechtzeitig zum Kinostart des neuesten Streifens um Professor Xavier und seine Schule für begabte junge Leute buddelt man hier die eigentlich bereits 2006/2007 erschienene Serie X-Men: First Class aus und bringt diese erstmals auf Deutsch an den interessierten Leser. Eines vorweg: die Klappentext-Behauptung, dass diese Serie dem Film von Matt Vaughn als Vorlage gedient habe, ist sagen wir mal gewagt. Bis auf die Grundidee, die Mutanten als Teenager zu zeigen, haben Comic und Film bestenfalls den Titel gemein.
Denn der (im Übrigen absolut empfehlenswerte!) Film widmet sich der Entwicklung der Feindschaft zwischen dem noch behende zu Fuß marschierenden Charles Xavier und seinem Mitkämpen Erik Lensherr, bei dessen Vergangenheit wohl jeder von uns eventuell vorhandene Magnetkräfte nicht unbedingt zur Rasenpflege, sondern zum Krieg gegen die Menschheit einsetzen würde. Im Gegensatz dazu liegt das Bemerkens- und Lobenswerte der Comicserie in erster Linie darin, dass Jeff Parker hier vor allem zurück zu den Wurzeln der Erzählweise geht. Ist das Marvel-Universum aktuell nämlich mit unzähligen X-Waffen, Faktoren, Männern und Frauen übersät, so begann Stan Lee in den 60ern mit einer kleinen Gruppe von „begabten“ Jugendlichen, die in überschaubaren und vor allem abgeschlossenen Abenteuern mit jeweils wechselnden Feinden ihre Kräfte maßen. Und so hält es Meister Parker ebenso: in jedem der hier versammelten acht Einzelhefte trifft die Urbesetzung der X-Men – also Cyclops, Iceman, Marvel Girl/Jean Grey, Angel und Beast, und keine Spur von Wolverine, Nightcrawler, Gambit und wie sie alles heißen! – auf einen neuen, der Fanschar natürlich vertrauten Kontrahenten oder auch Mitkämpfer.
So schnappt man sich in den Everglades Dr. Curtis Connors a.k.a. die Echse („Die Jagd auf die Echse“), in „Der kleinste Frostriese“ gerät man zwischen die Fronten, als ein gewisser Dr. Don Blake seinen Gehstock aufstampft und sich als Thor einen Frostriesen vorknöpft, die alten Racker von den Skrulls versuchen sich vergeblich an Imitaten der X-Leute („Die S-Men“), und sogar der psychedelische Dr. Strange gibt sich die Ehre („In Rot getaucht“). In „Wie angelt man sich einen Millionär?“ wird der durchaus spannende Konflikt ausgebreitet, der entsteht, als Angel sich in die Scarlet Witch verliebt, was deren Bruder Quecksilber ja nun mal so gar nicht witzig findet – und was gleichzeitig die einzige Story ist, in der die Bruderschaft und ihr Chef Magneto überhaupt erwähnt werden.
Jedes einzelne Kapitel ist somit abgeschlossen und präsentiert gut arrangierte, packende Stories, bei denen das Lesen schlicht Freude macht. Der Spaßfaktor kommt schon allein daher nicht zu kurz, weil Parker in guter Dosierung Rivalitäten, Reviergehabe und Eifersüchteleien einbringt, die die jugendlichen Helden absolut vermenschlichen. Inszeniert ist der bunte Reigen gekonnt von Roger Cruz, der in einer guten Mischung aus traditionellem und modernen Stil durchaus den Hauch der frühen Ausgaben vermittelt, ohne altbacken zu wirken. Und die berühmte Thematik aus dem ersten X-Men-Film, als Wolverines bange Frage „Geht Ihr in diesen Anzügen wirklich raus?“ locker von Cyclops gekontert wird („Was hast Du erwartet? Gelbes Spandex?“), wird hier eindeutig beantwortet: es gibt gelbes Spandex. Jede Menge. Und Jean Grey kann das in jedem Fall tragen. Also: wer nicht einfach einen platten Movie-Tie-In erwartet, der dürfte ob dieser frischen Interpretationen des Mutantenstadels durchaus angetan sein. (hb)
Text: Jeff Parker
Bilder: Roger Cruz
196 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
19,95 Euro
ISBN: 978-3862011674