Blast, Band 1 (Reprodukt)

Januar 16, 2013

Blast, Bd. 1: Masse

Held – so wird der Hauptdarsteller eines Buches genannt. Egal ob er nun gut ist oder böse. Mutig oder feige. Sympathisch oder ein Drecksack. Manu Larcenet präsentiert uns in ‚Blast‘, seiner neuen Reihe nach ‚Der alltägliche Kampf‘, einen schwierigen Helden, der tatsächlich viele dieser Eigenschaften in sich vereint, obwohl er ganz offensichtlich ein unansehnlicher Verbrecher ist: Polza Mancini, ende Dreißig. Er hat eine Glatze, einen langen Zinken und ist fett. Keine angenehme Erscheinung. Und er ist böse. Er muss etwas Schlimmes getan haben, denn sein Opfer, so erfährt man, eine Frau oder ein Mädchen namens Carole, wird die Tat vielleicht nicht überleben. Mancini ist in Polizeigewahrsam. Dass er es getan hat, steht außer Frage. Jetzt gilt es für die Polizisten zu erfahren, ja zu begreifen, warum. Das Verhör beginnt und Mancini erzählt bereitwillig seine Geschichte.

So wird der Täter, der Held der Geschichte, extrem negativ eingeführt, was in der Natur der Sache liegt. Doch gleich zu Beginn des Verhörs merkt der Leser, dass Mancini kein tumber Verbrecher ist. Er scheint eloquent und intelligent zu sein. Er ist Schriftsteller, schreibt über Gastronomie. Dass der Krebstod seines (grotesk überzeichnet dargestellten) Vaters in ihm ein Gefühlschaos auslöst, kann man verstehen. Dass er mir nichts dir nichts seinen Koffer packt und ohne rechtes Ziel und ohne Ankündigung seine (vergötterte) Frau verlässt und aus der Gesellschaft, die ihn stets verachtete, ausbricht, nimmt man verwundert zur Kenntnis. Ist das feige? Oder mutig? Dann wird die in Rückblicken erzählte Geschichte zu einer Art Roadmovie in der Natur. Mancini zieht sich in Wäldern zurück. Er meidet Siedlungen. Ernährt sich von Schokoriegeln. Und säuft. Viel und völlig hemmungslos.

Nach dem Tod seines Vaters erlebt er erstmals den titelgebenden Blast, seine persönliche Grenzerfahrung. Er kauert auf der Straße, lässt Unmengen an Schnaps in sich hineinlaufen, frisst Tabletten und besagte Riegel. Dann erfährt er einen schwerelosen Augenblick der Klarheit, der im ansonsten schwarz-weißen Buch mit farbigen, bunten Kinderzeichnungen visualisiert und betont und mit einem Osterinsel-Moai personalisiert wird. Diesen Moment, diesen Blast wieder zu finden und zu erleben, das wird Mancinis höchstes Ziel.

Ganz langsam und schleichend wird die Struktur des negativen Helden aufgebrochen. Jetzt wirkt er kauzig, eigenwillig. Kann so ein Typ doch sympathisch sein? Man traut dem Braten nicht, weiß man es doch besser. Schließlich erfahren wir ja von der Polizei, dass er schon ein Dutzend mal wegen kleinerer Delikte verhaftet wurde. Und ganz langsam schleicht sich Gewalt ein. Nur beiläufig sieht man, wie er gegen Ende einen Pfleger niederschlägt. Mancini hat es in sich. Das Böse. Sympathy for the Devil?

Natürlich werden wir Leser mit Mancinis unreflektierten Aussagen konfrontiert. Wie er seinen Ausbruch aus der Gesellschaft erklärt, seine Sauferei verteidigt und rechtfertigt. Wie er sich von den Bewohnern der Waldkommune abgrenzt. Ähnlich den Polizisten hören wir zu, wir kommentieren nicht. Am Ende hat uns seine Geschichte gepackt. Auch wir wollen nicht mehr vordergründig wissen was er wie getan hat. Es geht um das Warum und das Wieso.

Dargebracht wird diese komplexe Lebensbeichte in kräftigen Zeichnungen im typisch eigenen Larcenet Stil. Ein unkonventioneller, starker Strich, teilweise große, einseitige Panels mit viel Himmel, Stadt und Natur, mal in kräftigem, mal in sanftem schwarz-weiß. Besonders beeindruckend sind die Episoden, die im nächtlichen Wald spielen, in denen Mancini scherenschnittartig dargestellt wird, als er versucht, mit dem Waldbewohner Bojan Schritt zu halten. In Frankreich sind bisher drei Bände erschienen. Fünf bis sechs sollen es mal werden. Da kommt noch was auf uns zu. Hoffentlich schon bald. (bw)

Text & Bilder: Manu Larcenet
208 Seiten, (fast nur in) s/w, Hardcover
Reprodukt
29 Euro

ISBN: 978-3-943143-12-6

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