Manchmal braucht es nur eine simple Idee, um einem Genre frisches Blut einzuflößen (!). Man nehme einen Haufen junger, aggressiver und blutrünstiger (was sonst) Vampire und schaffe sie zu einem All-You-Can-Eat Pauschalurlaub nach Barrow, Alaska. Ganz im Norden. Dort bleibt es zwischen dem 10. Mai und dem 2. August dunkel. Polarnacht, 30 Tage lang. Da Vampire gemeinhin die Sonne meiden (die modernen Artgenossen aus Twilight u.ä. mal ausgenommen) und die Bewohner des Städtchens nirgendwo groß abhauen können, klingt das ganz nach paradiesischen Zuständen.
So sehen sich Sheriff Eben Olemaun und seine Frau Stella quasi aus dem Nichts mit der absoluten Hölle konfrontiert. Denn Vampire gibt es eigentlich nicht. Und doch wurden heimlich Handys eingesammelt, Strom unterbrochen – die Verbindung nach Außen ist futsch. Und in Barrow wird auf Vampir komm raus gewütet, bis sich nur noch wenige Überlebende in Kellern verschanzen und verstecken. Schließlich setzt Sheriff Olemaun eine verzweifelte Idee in die Tat um, einen letzten Versuch, um den Rest von Barrow zu retten und die Vampirbrut zu besiegen.
Ortswechsel. Los Angeles, 16 Monate später. Stella Olemaun, inzwischen tough und entschlossen, kämpft gegen Vampire und für ihre Rache. Und gegen das Vergessen. Denn die Vorfälle in Barrow wurden heruntergespielt, Vampire gibt es nun mal nicht und das muss auch so bleiben. Stella will ihr Buch vorstellen, einen Tatsachenbericht über die wahren Ereignisse. Aber keiner glaubt ihr, das Buch läuft unter Fiction, nicht als Sachbuch. Dann findet Stella doch noch einen Weg, die Wahrheit ans Licht zu bringen und steht urplötzlich Lilith gegenüber, einer echten Vampir Chefin. Und ausgerechnet auch ein Vampir hilft ihr dabei. Verquere Welt. Am Ende hat sie sogar die Chance, dass Eben, ihr geliebter Mann, wieder von den Toten aufersteht.
Dann wieder Barrow, drei Jahre nach dem ersten Angriff. Wieder wird es Nacht. Gerade trifft ein neuer Sheriff ein, Brian Kitka. Sein Bruder kam damals um. Doch Brian weiß nichts über die damalige Katastrophe, die noch immer offiziell verharmlost wird. Als er die Wahrheit erfährt, ist es zu spät. Er und sein Sohn können nicht mehr weg. Denn die Vampirbrut nimmt einen neuen Anlauf, organisierter und durchschlagender denn je. Es sieht schlecht aus. Barrows Einwohner – die, die noch da sind – und Sheriff Kitka wehren sich nach Kräften. Aber der Kampf scheint aussichtslos. Bis etwas geschieht, womit keiner rechnen konnte, weder Menschen noch Vampire.
Die ersten drei Storys um Barrow und die Olemauns sind hier zu einem dicken Wälzer als Trilogie zusammen gefaßt: 30 Days of Night, Dunkle Tage und Rückkehr nach Barrow. Immerhin an die 400 Seiten. Infinity veröffentlichte diese als Einzelbände bereits in den Jahren 2003 bis 2005.
Niles‘ Story in 30 Days ist geradlinig. Wie in einem guten B-Movie geht’s ohne Umschweife zur Sache, die Handlung rockt bis zum unvermeidlichen Höhepunkt, gefolgt von einem pointierten Schluss. Dunkle Tage ist da schon komplexer, muss es auch sein, schließlich ist die verängstigte Sheriff-Gattin zur gnaden- und furchtlosen Vampirjägerin mutiert, gegen die sich ein van Helsing wie ein blasser Waisenknabe ausnimmt. Zurück in Barrow wird der erfolgreiche Erstling nicht etwa kopiert, sondern geschickt variiert, dieses mal sogar mit einem versöhnlichen Ende.
Aber die guten Storys wären eben nur solche und keine modernen Klassiker, wären sie nicht von Ben Templesmith illustriert worden. Seinen Bildern wohnt stets ein diffuses, Unheil schwangeres Grundrauschen inne. Mit festen Konturen oder Tuschezeichnungen arbeitet er vergleichsweise wenig, es dominieren düstere Farben und Texturen und natürlich viel schwarz. Hier dräut offenbar stets das Böse und als Leser wird man auch nicht enttäuscht. Die Stimmung, die er damit erzeugt, im Dunkeln, im Schnee, ist großartig und eines anständigen Horrorcomics mehr als würdig. Und so wird auch die Fantasie des Lesers mit einbezogen. Dann die Vampire. Keine subtilen Gentlemen, sondern blutrünstige Draufgänger, die ihrem Trieb gnadenlos folgen. Keine spitzen Eckzähne, vielmehr wäre jeder weiße Hai froh, mit einem solches Gebiß aufwarten zu können. Kurz: Die Vampire sind so richtig fiese Monster und bei jedem, der sein Fett abkriegt, freut man sich als Leser wie ein Schnitzel. Umso überraschender, als dann plötzlich ein Vampir auftaucht, der mit Stella gemeinsame Sache macht. In jeder Hinsicht. Und auch das funktioniert und kommt glaubwürdig rüber.
Fazit: Ein dicker Wälzer als Wiederveröffentlichung eines modernen Horror-Klassikers (der auch recht anständig und erfolgreich verfilmt wurde). Wer den noch nicht kennt, sollte hier zugreifen. Der Preis wird durch die Seitenanzahl massiv relativiert. Eine Covergalerie und ein langer Artikel über Steve Niles runden den Band gelungen ab, dem noch weitere aus dem inzwischen umfangreichen 30 Days of Night Universum folgen sollen. (wg)
Text: Steve Niles
Bilder: Ben Templesmith
360 Seiten in Farbe, Hardcover
Cross Cult
35 Euro