Henry Fonda im Halbdunkel, er blickt in die Kamera, dann setzt er zu einer der bekanntesten Reden der Filmgeschichte an: „I’ll be all around in the dark – I’ll be everywhere. Wherever you can look – wherever there’s a fight, so hungry people can eat, I’ll be there. Wherever there’s a cop beatin‘ up a guy, I’ll be there.” Was das mit Dixie Road zu tun hat? Alles. Denn nach den Worten von Jean Dufaux liegt die Inspiration für dieses Werk nicht zuletzt in dieser Szene aus John Fords The Grapes Of Wrath, in der Tom Joad das Elend der Weltwirtschaftskrise und ihrer Folgen für die amerikanische Bevölkerung treffend kristallisiert. Er ist ein Jedermann, eine Symbolfigur für den Kampf der kleinen Leute gegen Mächte, die sie nicht verstehen, und die ihr Leben aus den goldenen Zwanzigern zerstört haben. Durch diese Welt führt auch der Weg der 14jährigen Dixie Jones, die genauso symbolhaft durch das Amerika der Depression zieht, gemeinsam mit ihrer Mutter Nadine, die immer auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit und in Hassliebe zu ihrem Mann Jones unterwegs ist. Der ist ein Hallodri, hat nicht seine erste Bank ausgeraubt und hat nun zwar eine Tasche voller Geld, aber auch jede Menge Ärger am Hals, in Form einer Privatmiliz, die ihn gnadenlos und mit allen Mitteln jagt. Ebenfalls hinter dem Pärchen her ist die Familie von Nadine, die eigentlich aus gutem Hause stammt und von den Eltern davongejagt wurde, als sie sich für ein Leben à la Bonnie und Clyde entschied.
Wie in einem Road Movie erlebt der Leser Szenen aus den desolaten Arbeiterlagern, Selbstjustiz, Brutalität, aber auch immer wieder Momente der Hoffnung und der Nähe. Die kleine Familie sucht stellvertretend für die ganze Nation den amerikanischen Traum, der in dieser Dekade verloren zu gehen schien, in einer Phase der Desillusionierung, in der das amerikanische Volk seine Schattenseiten kennen lernte. Die historische Realität bleibt am Rande, Präsident Roosevelt – dem Dufaux Original-Zitate in den Mund legt – fährt mit dem Zug durch das Land und erklärt seinen New Deal, das Konjunkturprogramm, das schließlich tatsächlich zum Aufschwung führte, aber zum Kontakt zu den fiktiven Figuren kommt es nie. In weiten Panels charakterisiert vielmehr die Landschaft die Menschen, wie John Fords Monument Valley, wobei die Figuren dadurch eine Würde erlangen, die ihnen das tägliche Leben längst genommen hat. Am Ende erreichen Dixie und ihre Mutter tatsächlich ihr Ziel, die Familie Vreeland, aber Vater Jones zieht wieder in die Welt, rastlos, da er nicht in diese Welt gehört. „Man verlässt niemals die Dixie Road“, stellt Dufaux in einem Nachwort fest, „In der Vorstellungswelt eines jeden führt die Straße immer weiter. Sie ist sozusagen unsterblich.“
Dixie Road entstand bereits im Jahr 2000 und erschien ursprünglich in vier Alben. Autor Jean Dufaux, dessen Arbeiten stets vom Film beeinflusst sind, sammelte 1987 mit Jessica Blandy erste Lorbeeren, in Zusammenarbeit Griffo und Paape legte er Monsieur Noir und Jardins De La Peur vor. Auch aus Dixie Road spricht seine filmhistorische Begeisterung, ergänzt um Eindrücke einer gemeinsamen Amerika-Reise mit Zeichner Hugues Labiano, der 1994 mit Matador sein erstes Album vorlegte. Dixie Road brachte ihm 2000 den Preis für die beste Serie ein. Die jetzt vorliegende, gut eingerichtete Gesamtausgabe (im Splitter-Buch Format, mit einem Nachwort, diversen Variant-Covern und Skizzen) ist die deutsche Fassung der L’Intégrale, die 2004 bei Dargaud erschien. Spannend, beeindruckend, episch, mitreißend. In anderen Worten: gut. (hb)
Text: Jean Dufaux
Bilder: Hugues Labiano
210 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24,80 Euro
ISBN 978-3-86869-333-1