Blume einer neuen Welt (Erko)

Juni 16, 2017

Südamerika, 1554. In den Dschungeln der Nueva Extremadura (heutzutage besser bekannt als Chile) schlägt sich die Spanierin Isabel de Maluenda mit einem kleinen Trupp um ihren Vertrauten Don Alfredo durch, um zu ihrem Mann Juan zu gelangen. Der ist schon vor Jahren dem Conquistador Pedro de Valdivia gefolgt, der 1541 die Stadt Santiago gegründet hat und seinen Landsleuten von unglaublichen Schätzen berichtet, die noch weiter im Süden zu holen seien. Aber das Vorhaben steht unter einem schlechten Stern: man wird von Ureinwohnern, den Mapuche, überfallen, die den Trupp fast völlig auslöschen. Der Anführer der Mapuche – dank eines Missionars namens Bruder Ventura des Spanischen mächtig – stellt sich als Häuptling Huagale vor und schnappt sich Isabel kurzerhand, um sie in sein Dorf zu bringen.

Dort wird die entsetzte Isabel mit ihrem blonden Haar zur Attraktion – zu ihrem großen Entsetzen, denn alsbald eröffnet ihr Huagale, dass er sie zur Schar seiner Frauen hinzufügen will. Ein erster Fluchtversuch scheitert, Isabel wird von den durchaus zahlreichen anderen Ehepartnern Huagales, darunter Kanoa, geschmäht – es scheint nicht gut zu stehen für die stolze Spanierin. Als sich die Indios dann eines Abends ordentlich betrinken, taucht unverhofft Don Alfredo auf und schafft sie fort. Bald erreicht man die kleine Siedlung Villarrica, wo Bruder Inocencio, Hernando Valdes, Anade Ulloa und weitere Versprengte ihr Dasein mehr schlecht als recht fristen. Das Glück ist allerdings von kurzer Dauer: Huagale ist ihr gefolgt. Als die Spanier den Häuptling gefangen nehmen, lassen seine Männer nicht lange auf sich warten und belagern das Dorf…

Enrique Sánchez Abuli, der als Comicautor vor allem durch die Serie um den Profikiller Torpedo von sich reden machte (die sogar beim Festival in Angouleme einen Preis als Bestes Internationales Album einheimste und die zuletzt auf Deutsch bei Cross Cult in einer limitierten Gesamtausgabe erschien), geht hier zurück zu seinen familiären Wurzeln, stammt er doch väterlicherseits (schon am Namen unschwer zu erkennen) aus spanischen Gefilden. Die fiktive Geschichte von Isabel hangelt sich an historischen Geschehnissen entlang, die zu den weniger erfolgreichen (ruhmreich war da ohnehin nichts) Projekten der spanischen Eroberer zählen. 1541 hatte Pedro de Valdivia, entsendet von seinem früheren Weggefährten Francisco Pizarro, im Mapocho-Tal die Stadt Santiago gegründet. Gelockt von der Aussicht auf Land und Gold, die Valdivia als erster amtierender Gouverneur Chiles mit einem Schreiben an den spanischen König Carlos befeuerte, in dem er von „großen Freuden“ berichtete, stieß man tiefer nach Süden vor und wurde dabei immer heftiger von den Ureinwohnern bekämpft. Die Mapuche zerstörten eine Siedlung der Invasoren nach der anderen, und am ersten Weihnachtsfeiertag 1553 schließlich schlugen die Ureinwohner unter der Führung von Caupolican und Lautaro die Aggressoren bei Tucapal entscheidend, wobei auch der gute Pedro vom gerechten Schicksal ereilt wurde.

Die beiden Blumen…

Dieser Hintergrund schwebt in dieser eher allegorischen Erzählung teilweise mit: während ihrer Odyssee erinnert sich Isabel an die Zeit in Sevilla, als ihr ihr zukünftiger Mann Juan von den Schätzen der neuen Welt berichtete und sich Pedros Expedition anschloss. Dabei liefert Abuli teilweise fast amüsante Kultur-Zusammenstöße („Degenerierter Mensch! Bigamist! Ehebrecher!“, so beschimpft sie den armen Huagale, als der ihr eröffnet, er habe zwar noch andere Frauen, sie sei ihm aber die liebste) und realistische Eindrücke der gar nicht ruhmreichen Eroberungszüge: die Siedlung Villarrica ist ein Dreckloch, in dem ein paar Versprengte vor sich hinvegetieren, und die angeblich göttliche Sendung (die in der Erwähnung eines Ordensbruders namens Ventura kurz aufscheint) kaschiert auch hier mehr schlecht als recht die radikale Ausbeutung von Land und Leuten (wie uns das Roland Joffe in „Mission“ ja eindrucksvoll vorführte). Vor allem entfaltet Abuli aber das durchgängige Motiv eines verletzten und letztlich verlorenen Paradieses: die von Alfonso Font (ebenfalls Spanier, der schon in „Bri d’Alban“ die spanische Geschichte illustrierte und unter anderem auch für einzelne Episoden der „Tex“-Serie sowie für „Barcelona im Morgengrauen“ verantwortlich zeichnet) opulent, farbenfroh und detailreich inszenierte Natur steht im eigentlichen Mittelpunkt des Geschehens.

Dialoge gibt es wenige, die Bildsprache dominiert, wobei die titelgebende Blume ein doppeldeutiges Leitmotiv liefert: zum einen ist es die Wasserlilie, die Isabel am Anfang geschenkt bekommt und am verhängnisvollen Ende wieder auftaucht, zum anderen ist es natürlich aber auch Isabel selbst, die in diesen Garten Eden eindringt und ihn – stellvertretend für ihre Landsleute – durch heimtückischen Verrat und Wortbruch gegenüber Huagale für immer ruiniert. Dieser Sündenfall repräsentiert das Unrecht der Landnahme und Ausbeutung durch die Conquistadores, die sich trotz Niederlagen wie der von Pedro de Valdivia letztlich nicht aufhalten ließen. Ein optisch überwältigendes, schlank erzähltes, elegisches Werk, das zum Betrachten und Genießen einlädt und von Fonts Freund und Agent Ervin Rustemagic (der vom guten Alfonso ja auch schon die Sammlung „Düstere Stories“ herausbrachte) standesgemäß hübsch eingerichtet in seinem Erko-Verlag erscheint. Steht zu hoffen, dass Font in Deutschland auch hierdurch ein wenig mehr ins Bewusstsein rückt. (hb)

Blume einer neuen Welt
Text: Enrique Sánchez Abuli
Bilder: Alfonso Font
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Erko Verlag
14,95 Euro

ISBN: 978-90-89821-19-5

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