Yoko Tsuno Gesamtausgabe, Band 8 (Carlsen)

März 30, 2011

Damals, es dürfte um 1977 gewesen sein. Auf dem Schulweg (Grundschule, wohlgemerkt) lag ein Tante Emma Laden, der Clemens (gesprochen: de Klemmenz – es gibt ihn heute noch), der von uns Knaben rege besucht wurde. Denn dort gab es wahre Schätze: tolle Sammelbilder (für das Raumschiff Enterprise Sammelalbum u.a.), Kalkitos (weiß noch jemand, was das ist?) und auch mal Comics. Alles Zeug, wofür man das sorgsam gehortete Taschengeld ohne mit der Wimper zu zucken verprasste. Irgendwann stand dort ein Comic, das größer war, als Bessy & Co. Und teurer – statt 1,40 immerhin satte 2,50. Deutschmark, versteht sich. Auf dem Cover eine Japanerin – Joko Zuno, das Karate Girl, aus der Reihe ‚Topix – Comics der Spitzenklasse‘ (dort erschien auch erstmals bei uns ‚Die Schiffbrüchigen der Zeit‘ von Paul Gillon und Barbarella-Schöpfer Jean-Claude Forest). Sekunden später gehörte das Teil mir. Die Heldin war ein Mädchen! Und Mann, war das spannend zu lesen, tausendmal besser als jedes Micky Maus Heft. Es war meine erste Begegnung mit der franco-belgischen Comickultur (neben Zack und Tim & Struppi, nur das wusste ich damals noch nicht). Das Album, damals mit der üblichen fehlgeleiteten Fantasie der Verlagsnasen ‚Notruf aus dem Tal der Affen‘ benannt, ist Teil des neuesten Bandes der Yoko Tsuno Gesamtausgabe und heißt nun treffender ‚Flug in die Vergangenheit‘.

Worum geht’s in der Serie? Hauptpersonen sind die japanisch-chinesische Elektronikerin Yoko Tsuno und ihre beiden ‚Schatten‘ Vic und Knut (Max bei Topix…), letzterer ist als ‚Ligne-Clair-Sonny-Tuckson‘ für die lockeren Gags zuständig. Die Alben beinhalten stets viel technische Gimmicks, Historie, exotische Schauplätze (nun ja, außer Deutschland halt) und natürlich auch reine Science Fiction (die Abenteuer mit den Vineanern).

In ‚Flug in die Vergangenheit‘ wird Yoko beauftragt, das Schicksal eines alten, verschollenen Doppeldeckers zu klären, den ein Spionageflugzeug in einem riesigen Meteoritenkrater in Afghanistan entdeckt hat. Mit der ‚Kanone von Kra’, einem gigantischen Eisenbahngeschütz aus den letzten Kriegstagen, droht ein japanischer Waffenhändler radioaktive Geschosse auf einen kleinen Stadtstaat zu schießen. Und im aktuell letzten auf Deutsch erschienenen Album ‚Der Siebente Code’ (2005) muss Yoko im brasilianischen Dschungel ein Schachspiel gewinnen, um Zugang zu einer alten russischen Atomrakete, die noch immer scharf ist, zu bekommen. Zeichnungen im feinsten, klassischen Ligne Clair Stil. Die Story des Siebenten Codes fällt etwas ab, sie ist zu sprunghaft, zu überladen, glänzt aber mit unwahrscheinlich detaillierten Zeichnungen (die alte Eisenhütte, das Innere des U-Boot Wracks). Zur Veröffentlichung des Albums erschien bei Eckart Schotts Salleck Publications die französische Special Edition (mit deutschem Kommentar) mit zahlreichen Abbildungen der Bleistiftzeichnungen – ein Genuss, aber inzwischen ganz sicher vergriffen, denn die Auflage war limitiert auf nur 99 Stück.

Yoko Tsuno ist bis heute die erste und einzige eigene Serie des Belgiers Roger Leloup (Jahrgang 1933), der bereits in den Fünfziger und Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts Hergé bei seinen Tim & Struppi Alben assistierte. Yoko debutierte 1970, damals noch mit Unterstützung von Maurice Tillieux (die Jeff Jordan Gesamtausgabe bei Ehapa sei hier allerwärmstes empfohlen) und Peyo (Papa Schlumpf). Das erste Album in kompletter Eigenregie entstand 1972.

Eine Besonderheit der Gesamtausgabe (die Einzelalben erschienen ebenfalls bei Carlsen) ist, dass die Bücher, die jeweils drei Alben umfassen, nicht chronologisch sondern thematisch sortiert sind. So sind in einem Band die deutschen Abenteuer enthalten, ein anderer ist den Vineanern gewidmet. Und es gibt keine offizielle Numerierung auf dem Buchrücken. Der Titel dieses vorerst letzten Sammelbandes – ‚Die Erde am Abgrund‘ – ist leicht irreführend, weil übertrieben. Thematischer Zusammenhang und heimliche Stars der Alben (#6: Flug in die Vergangenheit; #15: Die Kanone von Kra; #24 Der Siebente Code) sind drei ungewöhnliche Flugzeuge. Ein historisches und zwei, die Leloup extra für Yoko ‚entwickelt‘ hat. Im Vorwort berichtet er ausführlich darüber.

Ach ja – hier noch meine Top 3 Yoko Tsuno-Abenteuer (die sinnigerweise alle auch in Basteis Topix-Reihe erschienen):

Platz 3: Flug in die Vergangenheit (Album # 5, Gesamtausgabe # 8, Topix # 14)
Platz 2: Unterirdische Begegnung (Album # 1, Gesamtausgabe # 2, Carlsen Pocket # 6, Topix # 2)
Platz 1: Die Orgel des Teufels (Album # 2, Gesamtausgabe # 2, Topix # 5)

PS: Beim belgischen Verlag Dupuis erschien Ende 2010 nach fünf Jahren endlich das 25. Album der Serie. Ein Veröffentlichungstermin in Deutschland folgt hoffentlich bald. (bw)

Der Zahn der Zeit…

Text & Bilder: Roger Leloup
176 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
29,90 Euro

ISBN 978-3-551-02385-8

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