Wieder einmal ist die Erde hinüber. Kriege brachten Verwüstung, natürliche Ressourcen waren erschöpft. Die Folge: um das Überleben der Menschheit zu sichern, musste man die Erde verlassen und plante die Reise zu einem bewohnbaren Planeten, einer potentiellen neuen Heimat, die man Vera taufte. Das Problem: Vera lag 4,3 Lichtjahre entfernt. Viel zu lange für ein Menschenleben. Also baute man ein gigantisches Weltenschiff, einen Zylinder, der im Inneren mit einem künstlichen Klima erdähnliche Bedingungen aufweist und Heimat für 9800 Menschen bietet. Seit dem Start sind nun 400 Jahre und etliche Generationen vergangen. Viele ‚Bürger‘ des Zylinders wissen gar nicht mehr, dass sie in einem riesigen Raumschiff leben. Ein Schiff, das langsam aber sicher marode wird. Zeit, dass man das Ziel erreicht: denn Vera liegt vor ihnen, die neue Welt, das vermeintliche gelobte Land.
Zu der Crew, die die neue Welt erkunden soll, gehören die Zwillinge Joy und June Osmond. Kurzfristig. Denn die blinde June besitzt eine besondere seherische Gabe, eine Art zweites Gesicht, und hat so ohne zu wissen was es bedeutet eine Struktur auf Vera gezeichnet, die nicht natürlichen Ursprungs sein kann. Zusammen mit Bram – einem Freund der Zwillinge, der nicht gerade mit Intelligenz gesegnet, dafür aber bärenstark ist und als Beschützer der beiden fungiert – und einigen Wissenschaftlern, wagt man den Abstieg auf den Planeten. Und zwar genau zu eben dieser Struktur, die sich als vermeintlich verlassene Ruinenstadt entpuppt. Derweil macht man am Weltenschiff eine besorgniserregende Entdeckung: ein Unbekannter muss vor etwa 20 Jahren in das Schiff eingedrungen sein. Seine Spur führt genau zu dem Dorf, in dem Joy, June und Bram leben…
Leo ist in Sachen Science Fiction und Kolonisation ferner Planeten bereits ein alter Hase. Seine Serien Aldebaran, Antares und Betelgeuze (dt. im Epsilon Verlag) handeln allesamt von der Erforschung und Besiedlung fremder Welten, die er in einem feinen wie genauen und sachlichen Strich in Szene setzt. Gemeinsam mit Rodolphe, ebenfalls ein Routinier im Comicgeschäft, der schon in den Achtzigern für Chris Scheuer Marie Jade schrieb, entstanden die Serien Trent (dt. bei Salleck) und Kenya (dt. ebenfalls bei Epsilon). Man kennt sich also gut. So ist es kein Wunder, dass Centaurus thematisch mit Aldebaran & Co. verwandt ist. Als Zeichner fungiert diesmal nicht Leo selbst, sondern der Serbe Zoran Janjetov, der durch seine Zusammenarbeit mit Alejandro Jodorowsky (Vor dem Incal, Die Technoväter) bekannt wurde und damit ebenfalls SF erfahren ist.
Die Story beginnt gradlinig. Die Belehrung Brams über die wahre Beschaffenheit und Ursprung seiner Heimat dient auch als Aufklärung für den Leser, der so die Hintergründe des Unternehmens erfährt. Der neue Planet birgt Geheimnisse und wohl auch Gefahren, das scheint klar. Die Visionen Junes lassen nichts Gutes erahnen. Trotzdem bleibt den Menschen keine Wahl. Vera muss besiedelt werden. Mit der Entdeckung eines Eindringlings, der von außen gekommen sein muss, erhält die Geschichte gegen Ende einen neuen Schauplatz, der zusätzlich die Story befeuert, da der Eindringling noch nicht gefunden ist und sicher etwas mit der Mission zu tun hat. So wird sich die Handlung der kommenden Bände sowohl auf den neuen Planeten als auch weiter auf das Weltenschiff konzentrieren.
Abzüge in der B-Note gibt es für die Zeichnungen Janjetovs, die hier etwas skizzenhafter daherkommen, als man es von seinen früheren Werken gewohnt ist (die Computerkolorierung besorgte sein Sohn), was vor allem an den Gesichtern auffällt. Die Panels, die die weite Welt im Zylinder als Panorama darstellen, beeindrucken dagegen, wie auch die Konstruktion der Raumschiffe. Natürlich macht die Handlung Lust auf mehr, zumal Leo und Rodolphe durch die bösen Vorahnungen Junes und durch den noch nicht enttarnten Eindringling einen breiten Spannungsbogen aufbauen, dem man nur zu gerne folgt. Und wer Leos Serien kennt, weiß, dass wir hier noch einiges zu erwarten haben. (bw)
Centaurus, Band 1: Gelobtes Land
Text: Leo, Rodolphe
Bilder: Zoran Janjetov
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-187-1
