Der Bildhauer (Carlsen)

August 24, 2015

Der Bildhauer (Carlsen)

David Smith war mal ein aufstrebender Star am Kunst-Firmament. Hell leuchtend. Ganz kurz. Dann, als er es sich mit seinem Investor verscherzte, war es auch schon wieder vorbei. Bis heute. Inzwischen ist er ein Niemand in der Bildhauer-Szene. Und seinen Job als Burger-Brater ist er auch los. Kurz gesagt – er ist pleite. Und dementsprechend gelaunt. In einer Kneipe trifft er seinen Onkel Harry nach langer Zeit wieder. Er klagt ihm sein Leid und stößt auf Verständnis. Da gibt es nur ein Problem: Onkel Harry ist seit Jahren tot. Und wer ihm da gegenüber sitzt ist der Tod selbst. Gemeinsam vereinbaren sie einen Deal: ab Sonnenaufgang kann David jedes Material mit bloßen Händen formen, ohne jegliche Einschränkung. Dafür schenkt er Harry, also dem Tod, sein Leben. Und das dauert noch genau 200 Tage. 200 Tage, um berühmt zu werden…

Mit Ollie, einem guten Freund, reaktiviert er seine letzten Kontakte in der Kunstszene und präsentiert stolz seine mit blanker Hand entstandenen neuen Werke. Doch die machen, wenn überhaupt, nur einen gemischten Eindruck bei den Kritikern. Trotz seiner Fähigkeit. David ist enttäuscht. Und die Zeit läuft ihm davon. Statt steil nach oben geht es für ihn immer weiter nach unten. Dann verliert er seine Wohnung und seine Werke. Obdachlos und pleite denkt er an Selbstmord. Kurz davor wird er von der bezaubernden Meg gerettet, die er zuvor unfreiwillig bei einer Performance kennenlernte. Meg nimmt ihn bei sich auf und hat natürlich von dem Pakt zwischen David und Harry keine Ahnung. Zwar hadert David weiter mit seiner Kunst, aber es passiert das Unvermeidliche: er verliebt sich in Meg. Und nach langem Werben sie sich in ihn. Doch die Zeit tickt, Davids verbleibende Tage nehmen unerbittlich ab…

‚Der Bildhauer’ ist die erste und gleich mächtige Graphic Novel des amerikanischen Comic-Theoretikers Scott McCloud, dessen ‚Understanding Comics’ (‚Comics richtig lesen’, ebenfalls bei Carlsen erschienen) als Standardwerk unter der Comic-Sekundärliteratur gilt, wenngleich seine Theorien nicht die einzig gültigen sind. Und wenn einer, der genau beschreibt, wie Comics funktionieren, selbst eines macht, schaut man natürlich genau hin. Tatsächlich ist seine Panelaufteilung weitgehend konventionell, mit zwei Ausnahmen: als David zu Beginn von Harry mit seinem Tod konfrontiert wird, sind die Seiten weiß und als er später sein Leben vorüberziehen sieht, visualisiert McCloud stakkato-artig in etlichen, sich überschneidenden Panels verschiedener Größen seine Vergangenheit. Dramatische Szenen unterstreicht er fast filmisch in großen Panels und mit dickem Strich (Davids Beinahe-Selbstmord).

Interessant auch die Gegensätze. Auf der einen Seite die Fantasy-Elemente: das zentrale Motiv, der klassische Teufelspakt, der diesmal freilich mit dem Tod abgeschlossen wird – Onkel Harry schaut aus wie eine Mischung aus Stan Lee und George A. Romero – und die Macht, Material mit blanken Händen zu formen, was David schon fast überzogen später als anonymer Guerilla-Künstler in den Straßen New Yorks eindrucksvoll demonstriert. Und als er von der Polizei beinahe gestellt wird, hat sein Kampf sogar etwas Superhelden-haftes, wenn er seine ‚Formungs-Kräfte’ gegen die Ordnungshüter einsetzt. Dem gegenüber steht auf der anderen Seite die Beziehung zur – auf den ersten Blick gesehen – lebenslustigen Meg. David verliebt sich sofort in sie, doch es dauert eine ganze Weile, bis sie seine Zuneigung erwidert. Dabei muss David erkennen, dass Meg massive depressive Phasen hat – die Beziehung erweist sich als schwieriger als gedacht, von Davids Situation ganz zu schweigen.

Dass es am Ende hochdramatisch wird, ist beinahe abzusehen. Nicht abzusehen ist, dass die Story so anders verläuft als gedacht (nämlich: David setzt seine Fähigkeit ein und wird berühmt). Und es ist McCloud hoch anzurechnen, dass er hier die Erwartung und Erfahrung der Leser erfolgreich durchbricht. So bleibt eine dicke Graphic Novel, die Phantastik und Beziehungsdrama zwar erfolgreich mischt bzw. kombiniert, die aber auch gerade deshalb manchen Leser verwirren oder gar überfordern wird. Und das ist dann wieder ganz im Stil eines Theoretikers. Denn normal kann ja jeder. (bw)

Der Bildhauer
Text & Bilder: Scott McCloud
496 Seiten in schwarz-weiß
Carlsen Verlag
34,99 Euro

ISBN: 978-3-551-78840-5

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