Die Rückkehrer (Carlsen)

Mai 12, 2014

Die Rückkehrer (Carlsen)

Kriegsdarstellungen gibt es in Literatur, Film und Comic zu Hauf, viele davon mit Klassikerstatus wegen der treffenden Darstellung von Entmenschlichung und Pervertierung aller Werte, die diese Zeiten unumstößlich mit sich bringen. Dass der Krieg aber für die, die ihn kämpfen müssen, nach der Heimkehr längt nicht beendet ist, das steht seltener im Mittelpunkt – angefangen bei Beckmann aus Wolfgang Borcherts Draußen Vor Der Tür über die australischen Gallipoli-Opfer in „And The Band Played Waltzing Mathilda“ der Pogues bis hin zu Epen wie Michael Ciminos The Deer Hunter oder eher reißerischen Exemplaren wie John Rambo irren Kriegsheimkehrer zwar einige Male durch unsere Welt, bleiben dabei aber eher die Ausnahme. Umso bemerkenswerter also, dass Olivier Morel sich diesem oft vernachlässigten Komplex gleich multimedial annimmt. Sein Dokumentarfilm L’Âme en sang (Deutscher Titel: Amerikas verletzte Seelen) fing 2011 Stimmen der Vergessenen, Verlorenen und Entwurzelten ein: auf den Straßen und in den Obdachlosenheimen der USA ging Morel auf die Suche nach Veteranen, die in Folge der Anschläge des 11.09.2001 – oft als begeisterte Freiwillige – am Irak-Krieg der Bush-Administration teilnahmen.

Schwer traumatisiert aufgrund der Grausamkeiten, die sich nicht zuletzt im Gefängnis Abu Ghureib zutrugen, werden Lisa, James, Vincent, Kevin, Wendy, Ryan und Jeffrey geplagt von Schuldgefühlen, Alpträumen und auch physischen Verletzungen, mit denen sie die Regierung alleine lässt. Sie suchen ihr Heil teils in Alkohol und Drogen, teilweise schaffen sie den Absprung in eine bürgerliche Existenz, teilweise erliegen sie ihren Dämonen und nehmen sich das Leben. Die Dreharbeiten zu diesem bewegenden Dokument setzt Morel nun in Zusammenarbeit mit Zeichner Maël in eine bedrückende Graphic Novel um, in der die Zeitebenen zerfließen. Wir erleben die erfolgreichen Bemühungen des Franzosen Morel, sich in die USA einbürgern zu lassen, die Faszination des Freiheits- und Gleichheitslandes Amerika, die im bitteren Widerspruch zur maßlosen Enttäuschung und Heimatlosigkeit der Kriegsveteranen steht, die um ihre Renten kämpfen müssen, während sich US-Konzerne und ehemalige Politiker am Krieg eine goldene Nase verdienen. „Es gibt keinen gerechten Krieg“, dieses Motto durchzieht das gesamte Werk, das mit der Premiere des Films am 08.10.2011 in Cannes endet.

Mael inszeniert die Story in bei den Dreharbeiten realistischen, bei den Erinnerungssequenzen der Veteranen alptraumhaft-apokalyptischen Panels, die für die Gegenwart in stimmungsvollen Schwarz-Weiß Zeichnungen gehalten sind, um bei den Kriegsdarstellungen in symbolträchtige rote Elemente zu wechseln, die sich schließlich als Leitmotiv auch in die aktuellen Szenen mischen. Der Krieg, so auch die optische Botschaft, lässt die Betroffenen nicht mehr los und blutet durch die Realitätsebenen hindurch. So fügt sich ein beklemmendes Bild zusammen, das die Doppelmoral und Heuchelei der Kriegspropaganda ebenso demontiert wie popularisierende Darstellungen von Patriotismus und Heldenmut. Einen kleinen bitteren Beigeschmack erhält das Ganze durch die bisweilen einseitige Vermengung von Krieg, sozialphilosophischen Abhandlungen und der Occupy-Bewegung in Folge der Finanzkrise, worüber wir aufgrund des lobenswerten Gesamtvorhabens allerdings hinwegsehen wollen – denn Morel bleibt stets meilenweit entfernt von der zwar höchst unterhaltsamen, aber mindestens ebenso manipulativen Gangart eines Michael Moore. (hb)

Die Rückkehrer –
Wenn der Krieg im Kopf nicht endet
Text: Olivier Morel
Bilder: Maël
128 Seiten in schwarz-weiß und Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
17,90 Euro

ISBN: 978-3-551-73647-5

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