Heimatloser Wanderer zwischen den Welten. Auf ewig Verdammter. Gottesmörder. So richtig verlockend liest sich keine der Stellenbeschreibungen, die Phil Stark in seiner eigentlichen Inkarnation als Phantom Stranger auszuführen hat. Genaues war über die Herkunft der geheimnisvollen Gestalt nie bekannt, er geisterte schon seit 1952 durchs DC-Universum, orakelte in den eher Mystery-angehauchten Stories von Partnern wie Batman oder Swamp Thing und nahm sich immer wieder einmal verlorener Seelen an. Innerhalb der New 52 verpaßte DC dieser Figur schließlich nicht nur eine eigene Serie, sondern bettete sie in einen größeren Zusammenhang ein: als Vorspiel auf die Trinity Wars tritt der Stranger immer öfter in Erscheinung und liefert dabei offenkundig Vorboten eines größeren Unheils.
Zunächst aber lüften die Autoren Dan DiDio und J.M. deMatteis das Rätsel um die Herkunft des Fremden: eine unfaßbare Sünde hat er begangen, wollte sich dafür erhängen, landet aber lediglich vor dem Rat der Ewigkeit und wird mit zwei anderen Angeklagten – The Question und Pandora, stellt sich bald heraus – dazu verdammt, verlorenen Seelen zu helfen, diese dabei aber unweigerlich auch zu verraten: so verlangt es eine „Stimme“, die ihm den Weg zeigt. Nur so kann er die dreißig Silberlinge um seinen Hals langsam loswerden und seine Buße tun. Wer jetzt immer noch nicht drauf kommt – der Gute folgte einst mit elf anderen Herren einem armen Prediger durch Galiläa und hieß mit Familiennamen Ischariot. Auf einer seiner ersten Missionen versucht er, dem Polizisten Jim Corrigan dabei zu helfen, seine entführte Frau zu finden – nur, um ihn direkt in den Tod zu führen. Der verständlicherweise erboste Corrigan wird zu Spectre, einem ebenfalls mysteriösen Ratgeber aus dem Jenseits, der Rache am Stranger schwört. Auch Rachel, Tochter des Dämons Trigon, liefert der Stranger wieder an ihren Vater aus, vor dem sie eigentlich geflohen war, bevor er als Hilfsdient für Dr. Thirteen den Haunted Highwayman (eine Art durchgeknallten Ghostrider) plattmacht.
Immer wieder erleben wir den Stranger dazwischen in häuslichen Szenen in seiner menschlichen Gestalt als Phil Stark, der sich liebevoll um Frau und Kinder kümmert und so den einzigen Halt findet. Diese Heimstatt bricht jäh zusammen, als die Familie Stark entführt wird. Auf der Suche nach ihnen kreuzt der Stranger die Wege des wie immer saucoolen Hellblazer John Constantine, der mit seiner Justice League Dark – bestehend aus der sexy Zauberin Zatannah, Deadman, Frankenstein, Black Orchid und Madame Xanadu – zuerst abblitzt, dann aber die einzige Rettung ist: als Stark von Dr. Thirteen und The Question mit der Lanze des Longinus durchbohrt wird, der Waffe, die eins Jesus am Kreuz das Herz durchstieß, scheint die Seele des Strangers verloren. Zurückgeholt durch die Nightmare Nurse (falls ihr jemals krank seid, wünscht Euch DIE Tante – die weckt Tote auf, versprochen!!), pokert der Stranger mit diversen Dämonen um eine Spur zu seiner Familie, bis er endlich erfährt, wo seine Lieben sich aufhalten: der Sin-Eater hat sie in die Hölle geschafft, und von dort kann sie nur das ultimative Opfer wieder befreien. Hier laufen nun auch alle Fäden der Storyline zusammen – der Sin-Eater ist niemand anders als der reale Phil Stark, ein biederer Bürgersmann, der im zweiten Leben ein psychopathischer Massenmörder war, den der Stranger aus dem Weg räumte, bevor er seine eigene Familie massakrieren konnte. Genau damit wiedersetzte er sich aber der „Stimme“, die ihm eigentlich befohlen hatte, Stark gewähren zu lassen, anstelle in seine Rolle zu schlüpfen. In einem atemberaubenden Finale jagt der Stranger buchstäblich durch Himmel und Hölle und muss schließlich erkennen, dass sein Traum, seine Wanderung irgendwann zu beenden, wohl unerreicht bleiben muss…
Weitab von platter Mystery-Masche präsentieren DiDio und DeMatteis hier eine dichte Mischung aus Horror, Action und Superhelden, wobei neben den teilweise durchaus selbstironischen Zügen (wie etwa das „House Of Mystery“, in dem Herr Constantine wohnt, oder die herrlich nymphomanische Kranke(n)schwester, und die Tatsache, dass Gott als süßer Fifi auftaucht) die existentialistischen Fragestellungen von Schuld und Sühne faszinieren – nicht umsonst zitiert der Sin-Eater höchstpersönlich Dostojewski, dessen Brüder Karamasow feststellen, die wahre Hölle sei die Unfähigkeit, jemanden zu lieben. Die Hölle ist nach Gottes eigenen Worten nicht von ihm erschaffen, sondern von den Menschen selbst gemacht, sie ist das für jeden persönlich schlimmste vorstellbare – das wussten auch Sartre und Camus schon. Literarisch anspielungsreich (wie etwa im Titel des letzten Kapitels, „Paradise Found“), bieten die Autoren keine eindimensionalen Antworten, sondern ambivalente Persönlichkeiten und einen zutiefst zerrissenen Anti-Helden, der dazu verdammt ist, stets das Gute zu wollen und doch das Böse zu schaffen, und dabei das Einzige aufgeben muss, was er jemals wahrlich geliebt hat. Wenn das mal keine veritable Tragik ersten Ranges ist.
In diesem wahrlich fetten Band vereint Panini insgesamt elf Original-Hefte (die Nummer 0-10 der US-Phantom Stranger-Ausgaben von November 2012 bis Oktober 2013), die auf den Trinity War zwischen der Justice League, der Justice League Of America und der Justice League Dark vorbereiten. Reichlich Lesefutter, nicht nur für Freunde der Mystery-Spielart also, das sich lohnt. (hb)
Phantom Stranger, Band 1: Ein Fremder unter uns (Panini)
Text: Dan DiDio, J.M. DeMatteis
Bilder: Brent Anderson, Philip S. Tan, Gene Ha
236 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
19,99 Euro