Zwei völlig verschiedene Fälle. Anfangs zumindest. Zum einen ist da ein verstörender Kurzfilm unbekannter Herkunft, dessen Inhalt weit über die üblichen Sehgewohnheiten hinausgeht. Der gefährliche, unterbewusst beeinflussende Film, offenbar in den fünfziger Jahren entstanden, fällt Kommissarin Lucie Henebelle aus Lille in die Hände, die damit einen Filmrestaurator aufsucht, um Näheres über den Streifen zu erfahren.
Zum anderen treffen wir Franck Sharko, einen schizophrenen Kommissar und Verhaltensanalytiker aus Nanterre bei Paris. Sharko wird mit den Ermittlungen in einem fünffachen Mord betraut, bei dem die Opfer seltsam wie brutal verstümmelt wurden. Bald wird klar, dass die Fälle miteinander in Verbindung stehen müssen. Die beiden Polizisten treffen sich und ermitteln fortan gemeinsam. Und merken spätestens, als weitere Morde geschehen, dass sie gerade in ein hochgefährliches Wespennest stechen…
Der umtriebige Comic-Autor Sylvain Runberg (u.a. „On Mars“, „Orbital“ bei Splitter) und sein Zeichner Luc Brahy („Ukas“, ebenfalls bei Bunte Dimensionen) adaptieren hier einen Roman des Krimi-Spezialisten Franck Thilliez, der unter dem Titel „Öffne die Augen“ auch auf Deutsch bei Goldmann erschienen ist. Thilliez vereint hier erstmals seine beiden Serienfiguren Lucie Henebelle und Franck Sharko unter einem Dach und schickt sie auf eine gemeinsame Ermittlungsreise.
Der Band ist Auftakt eines Dreiteilers, der in Frankreich als „Trilogie der Gewalt“ betitelt und komplett von Runberg und Brahy adaptiert ist. Wie (schon fast) üblich, tragen beide Polizisten persönliche Probleme mit sich herum. Während Lucie ihre Kinder zugunsten ihres Jobs immer wieder in der Obhut ihrer klagenden Mutter zurücklassen muss, kann Sharko den Unfalltod von Frau und Tochter nicht verarbeiten. Letztere versorgt ihn als imaginäre Begleitung gerne mit sarkastischen Kommentaren und Anmerkungen.
Die Story, deren beide Fälle so unterschiedlich wie originell beginnen, schreitet rasant voran, während der Bodycount immer größer wird. Bald wird klar, was es mit dem Film auf sich hat (mit einer rationalen Erklärung) und auch die Mordopfer verraten noch so einiges. Spuren führen die beiden Ermittler nach Algerien, an einen Standort der Fremdenlegion und dann nach Kanada, wo der historische Skandal um die sogenannten Duplessis-Waisen in die Handlung mit einbezogen wird und eine wichtige Rolle spielt.
Gleichzeitig mit den beiden Ermittlern decken wir als Leserin und Leser nach und nach die Hintergründe auf und erfahren, was und wer hinter der schrecklich-monströsen Sache steckt. Die Handlung wird atemlos und spannend vorangetrieben. Dazwischen überraschen auch immer wieder gelungen inszenierte Action-Sequenzen, aus denen die Protagonisten nur um Haaresbreite entkommen.
Somit liefern Runberg und Brahy eine spannende wie gelungene Krimi-Adaption ab, die originell beginnt und ebenso endet. Denn die Geschichte geht offenbar nahtlos in den nächsten Fall über. Brahys realistischer und dabei unaufdringlicher Zeichenstil passt dabei bestens zum Geschehen, in dem Sharkos imaginäre Tochter Eugénie eine heimliche Hauptrolle spielt. Wir sind gespannt auf die Fortsetzung, die in Frankreich unter dem Titel „Gataca“ erschienen ist. (bw)
Syndrom [E], Band 1
Text & Story: Sylvain Runberg, nach Franck Thilliez
Bilder: Luc Brahy
104 Seiten, Hardcover
Bunte Dimensionen
25 Euro
ISBN: 978-3-949144-41-7