Berlin, bald ein Jahr nach dem Bau der Mauer. Der Bundesnachrichtendienst in Person eines älteren Herren und einer Frau mit roten Haaren, beide anonym, rekrutiert vier „Mauer-Pendler“. Ihr Job: sie sollen sich zusammentun und eine bisher nicht dagewesene Massenflucht von Ost nach West planen und ausführen. Details und Vorgaben dazu gibt es keine, nur Geld, um das Vorhaben zu finanzieren. Einzige Bedingung: Die Aktion muss zwingend am 13. August, dem Jahrestag des Mauerbaus, über die Bühne gehen, um den Osten zu düpieren.
Die vier, das sind Ludwig Lohmann, Hanna Hitzfeld, Conrad Meyer und Julius Schwartz. Man entscheidet sich für den Bau eines Fluchttunnels, legt den Zielort in einem verlassenen Haus in Ostberlin fest. Bald gibt es erste Komplikationen: ein Teil des Tunnels stürzt ein, dann stößt man auf eine verlassene, von der Vopo kontrollierte U-Bahn Strecke. Und auch innerhalb der Gruppe kriselt es…
Autor Kid Toussaint (u.a. „Holly Ann“ bei Splitter) präsentiert hier einen Einzelband in Form eines typischen Caper-Movies vor dem geschichtlichen Hintergrund der unmittelbaren Folgen des Baus der Berliner Mauer und damit der Teilung der Stadt. Unsere vier Protagonisten, die „Mauer-Pendler“, haben dabei ihre eigenen Gründe und Motive für ihr gefährliches Tun und werden zu Beginn des Bandes auf fulminante Art und Weise vorgestellt. Ludwig riskiert alles, um Frauen zu beeindrucken, Hanna erweist sich als Meisterin der Verkleidung und macht damit die Stasi lächerlich. Und Julius und Conrad treiben rein monetäre Motive für ihre Ost-West und West-Ost Übertritte. Scheinbar. Denn nach und nach zeigt sich, dass jeder und jede der vier Leichen im Keller zu verbergen scheint und nebenher ein eigenes Süppchen kocht. Der Zusammenhalt der Gruppe wird fragiler. Gibt es sogar einen Spitzel unter des Vieren?
Abgesehen davon wird bald klar, dass der Auftrag, der doch recht diffus erteilt wird, einen gehörigen Haken zu haben scheint. Nur welchen? Toussaint legt hier verschiedene Fährten und zeigt kurze Episoden, die nach und nach ein Gesamtbild ergeben. Sein Zeichner, der Franzose Tristan Josse bedient sich dabei eines modernen, fetzig dynamischen Zeichenstils und brilliert dabei v.a. in den Action-Szenen, die immer wieder filmisch umgesetzt und „geschnitten“ sind, was sich erstmals bei der spektakulären Flucht mit dem Auto zu Beginn des Bandes zeigt.
Am Höhepunkt der Story legt Josse dabei noch eine Schippe drauf und lässt in einer mehrseitigen, durchkomponierten Sequenz nur seine actionreichen Bilder sprechen. Doch auch die leisen Töne beherrscht er. „Von der anderen Seite der Mauer“ zeigt ein Stück jüngerer Deutscher Geschichte, mitten im Kalten Krieg, furios und spannend als Thriller inszeniert und dennoch mit genügend Tiefgang. Es existiert auch eine auf nur 99 Stück limitierte Vorzugsausgabe (siehe rechts) mit alternativem Cover und von Tristan Josse signiertem Druck, die jedoch bereits vergriffen ist. (bw)
Von der anderen Seite der Mauer
Text & Story: Kid Toussaint
Bilder: Tristan Josse
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Blattgold GmbH / Zack Edition
20 Euro
ISBN: 978-3-949987-16-8