Interview mit einem Vampir: Claudias Story (Carlsen)

Dezember 18, 2013

Interview mit einem Vampir: Claudias Story

Schwerlich zu glauben für jüngeres Publikum – aber es gab eine Zeit, in der Vampire keine Teenie-Schwärme waren (die Twilight Comic-Adaptionen erscheinen übrigens ebenfalls bei Carlsen), die in der Sonne glitzern, sondern abartige, geifernde Monster, die vor nichts zurückschrecken und jenseits aller „Süüüüß“-Schmachtereien einfach nur böse sind. Dass sie dabei durchaus schmuck aussehen können und Manieren haben, das gilt seit Bela und Christopher sowieso, aber was Anne Rice 1976 auf die lesende Welt losließ, hatte eine eigene, perverse Qualität. Der dekadente Vampir Lestat durchwandert das Amerika des 18. und 19. Jahrhunderts und erfreut sich seiner untoten Freiheiten, während sein unverhohlen zugeneigter Gefährte Louis von den Resten des menschlichen Gewissens geplagt wird. In einem geschickten Schachzug stellt Lestat seinem Kumpel die kleine Claudia an die Seite, die ihre Mutter an die Pest verloren hat und als Vampir nicht mehr altert. Claudia verliebt sich alsbald in Louis und entbrennt in Hass auf Lestat, da sie ihn vergeblich um Auskunft über ihre Herkunft erbittet. Die beiden töten Lestat (vermeintlich) und begeben sich auf eine Suche nach ihren Artverwandten, die bis nach Paris ins Theater der Vampire und schließlich zu Claudias Ende führt.

Der Roman, in dem Anne Rice nicht nur die üblichen Vampir-Versatzstücke (Beißen ist Sex, das war schon immer so) präsentiert, sondern auch die Trauer über den Tod ihrer Tochter zu verarbeiten suchte, war lange Zeit in Hollywoods Schubladen, schaffte es aber 1994 erst auf die Leinwand. Dann allerdings geriet er mit Tom Cruise, Brad Pitt und Kirsten Dunst in den Titelrollen zum veritablen Hit, auch wenn die psychologischen Finessen und melancholischen Anfälle der Figuren nicht unbedingt massentauglich waren (Brad Pitt meinte später zu seinem Charakter, „der Typ war ja nur deprimiert, das war fürchterlich“). In ihrer Graphic Novel eignet sich Ashely Marie Witter nun allerdings eine ganz eigene Perspektive an: wie der Titel schon sagt, zeichnet Claudias Story die Geschehnisse aus Sicht des Kindes nach, dem Vampir, den es niemals hätte geben dürfen – aus Sicht des Geschöpfes, das nicht altern kann, sich in einen Erwachsenen verliebt, den Widersacher tötet und nach ihrer Familie sucht. Wie in jedem guten Horrorstoff geht es also um weit mehr als bloße Monster, sondern um Generationskonflikte, Erotik, Selbstfindung und die Frage des Menschseins. Das wird in – teilweise allzu langer – epischer Breite dargelegt, in elegischem Ton, mit monochromen Bildern, die nur in wenigen, entscheidenden Momenten Farbkleckser (überraschenderweise rot) enthalten.

Wer also schon im Kino an den Lippen von Herrn Cruise hing, der seine Lebensgeschichte in einen Kassettenrekorder (ja, ehrlich!) diktierte, der wird auch hier atemlos mit fiebern. Alle anderen dürfen weiter Blade schauen. (hb)

Interview mit einem Vampir: Claudias Story
Text & Bilder: Ashley Marie Witter
nach dem Roman von Anne Rice
224 Seiten in schwarz-weiß & Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
19,90 Euro

ISBN: 978-3-551-78249-6

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