Pocahontas (Splitter)

August 21, 2023
Pocahontas (Splitter Verlag), von Patrick Prugne

Virginia im Jahr 1607. Nach der gescheiterten Kolonie auf Roanoke Island versuchen die Engländer wieder mit einer festen Siedlung in der neuen Welt Fuß zu fassen. Sie gründen Jamestown im Süden der Chesapeake Bay und machen sich dran, ihre neue Heimat zu befestigen, gleichermaßen als Schutz vor den Ureinwohnern, als auch vor der spanischen Konkurrenz. Als erste Amtshandlung plant Captain Wingfield jedoch die Vollstreckung eines Todesurteils: John Smith soll wegen Meuterei gehängt werden. Da jeder kampffähige Mann gebraucht wird (unter den Neuankömmlingen sind weder Frauen noch Kinder), begnadigt man ihn jedoch. Bei den Powhatan, die in der Nähe von Jamestown siedeln, registriert man Ankunft und Gegenwart der Fremden argwöhnisch. Doch Matoaka, die Lieblingstochter des Häuptlings, die von ihrem Bruder Pamuik gerne mit dem Kosenamen Pocahontas (Kleiner Schelm) gerufen wird, ist neugierig auf die Fremden und überredet ihren Bruder, ihn in die Nähe der Siedlung zu begleiten. Dort trifft die Indianerprinzessin unvermittelt auf John Smith. Dem genügt die flüchtige Begegnung, um von der jungen Frau fasziniert zu sein. Fortan hält er bei seinen Streifzügen Ausschau nach Pocahontas. Zuerst vergeblich. Doch dann kommt es unvermittelt zu einer weiteren Begegnung, die beinahe fatal verläuft…

Einmal mehr taucht Autor und Zeichner Patrick Prugne mit seinem neuesten Streich in die Frühgeschichte der Kolonisierung Amerikas durch die Europäer ein. Diesmal geht er weit zurück bis zur Gründung von Jamestown, der ersten permanenten Siedlung der Weißen, die sich etablieren konnte und greift mit Pocahontas dabei noch einen populären Mythos auf. Spätestens seit dem Disney Zeichentrickfilm (1995) mit Gesang und sprechenden Tieren und der ernsteren Verfilmung des Stoffes in „The New World“ (2005) von Regisseur Terrence Malick, kennt man inzwischen die Legende um die Indianerprinzessin und ihre Begegnungen und späteres Leben mit den Europäern, die vermeintlich in friedlicher Absicht geschahen. Dabei sind die historischen Tatsachen längst verwässert. Was auch an den phantasievollen, nicht belegbaren Schilderungen von John Smith liegt. So gibt es keine weiteren Belege für seine Rettung durch Pocahontas, auch die später gesponnenen Liebesgeschichte zwischen den beiden scheint eher romantische Fiktion zu sein.

Ein Nachteil des Bandes ist tatsächlich, dass man die Geschichte um Pocahontas kennt. Dennoch nimmt sich Patrick Prugne einige inhaltliche Freiheiten. So baut er Wingfield als Bösewicht auf (eigentlich ein Mitgründer der London Virginia Company, der später nach England zurückkehrte), der die „Wilden“ gnadenlos bestraft und von seiner Gier nach Gold und Reichtum getrieben wird. Und der John Smith hasst, weil er ihn verschonen musste. Smith selbst stellt Prugne fast als romantische Figur dar, als um Frieden badachter Vermittler zwischen den Kulturen – das vielleicht aber nur, weil ihn der erste Anblick Pocahontas‘ betörte und er fortan die Gegend durchstreift in der Hoffnung, der jungen Frau erneut zu begegnen. Pocahontas erscheint einmal als selbstbewusst und resolut, sich ihrer Rolle als Prinzessin wohl bewusst, dann wieder unglücklich und ihr neues Leben bei den Europäern bereuend. Wobei die zarten Bande, die Prugne den beiden angedeihen lässt, noch Spielraum für Interpretation bieten.

Prugnes Version konzentriert sich in erster Linie auf die Zeit bis zur Abreise von John Smith; das weitere Leben von Pocahontas wird nur kurz angerissen (die Heirat mit dem Tabakpflanzer John Rolfe, ihre Zeit in England und ihr früher Tod), wobei vorher den Geschehen in Jamestown wie auch im Dorf der Powhatan viel Raum belassen wird. Eingeklammert wird die Geschichte von einer Rahmenhandlung, die 1621, also Jahre später spielt und die im Wesentlichen aus einem Zwiegespräch von Pamuik und Lieutenant Pitt, einem Freund John Smiths, besteht. Und die mit einem mahnenden und klagenden Pamuik endet und gleichzeitig mit schlechten Aussichten auf Frieden. Natürlich gestaltet Prugne den Band in seinem unnachahmlichen Zeichenstil, mit sanften, gediegenen Aquarellfarben, in denen atmosphärisch dichte, romantisierende, winterliche Szenen ebenso zur Geltung kommen wie die unberührte Natur, die Siedlung der Europäer oder das Dorf der Powhatan. Somit trotz des bekannten Sujets ein Muss für alle, die an Prugnes Werken wie „Pawnee“ oder „Tomahawk“ Gefallen finden. (bw)

Pocahontas
Text & Bilder: Patrick Prugne
96 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-98721-157-7

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