Kennedy. Ein schillernder Name, der aus der jüngeren amerikanischen Geschichte nicht mehr wegzudenken ist und den die meisten natürlich mit den Tragödien um JFK und dessen Bruder Robert verbinden. Begonnen hat die Geschichte der Kennedys und deren Einfluss auf die USA jedoch bereits eine Generation früher, mit dem Vater und Familienpatriarch Joseph (1888-1969), der als Begründer der Kennedy-Dynastie gilt (obwohl auch dessen Vater bereits wirtschaftlich und politisch tätig war).
Der erste Band der geplanten dreiteiligen Reihe um den Kennedy-Clan beginnt im Jahr 1938, als Joseph „Joe“ Kennedy, neunfacher Vater, den prestigeträchtigen Posten des amerikanischen Botschafters in London ergattert. Präsident Roosevelt ist die Vergabe des Jobs an Joe nicht unrecht, kann er doch so einen potenziellen Bewerber um die kommende Präsidentschaft 1940 elegant kaltstellen. Joseph, auf dem politischen Parkett völlig unerfahren, macht sich mit Elan an die Arbeit: nämlich in erster Linie an die Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen. So ist er Alleinimporteur von bekannten schottischen Whiskymarken.
Kennedy wird hofiert und lernt schnell die brisante politische Lage kennen, in der sich Europa gerade befindet: Das Deutsche Reich unter Hitler rüstet kaum verholen auf, seine Drohgebärden gegenüber den Nachbarn werden immer vehementer. Joe steht zwar hinter Chamberlains Appeasement-Politik gegenüber Deutschland, die einen erneuten Krieg vermeiden soll (Krieg ist schließlich auch schlecht für das Geschäft), betont aber auch stets die Neutralität der USA. Dennoch bewundert er die Deutschen, hegt Sympathien für den Faschismus und wettert gegen die Juden. Seine Eskapaden und eigenmächtige Aktionen isolieren ihn immer mehr. Bis am 1. September 1939 mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg beginnt…
Die Geschichte wird rückblickend erzählt. In einer Rahmenhandlung berichtet 2009 Edward Kennedy, jüngstes Kind und letzter noch lebender Sohn Joes, seinem Großneffe Joseph Kennedy III. aus der Familien-Historie. Dabei geht Autor Mick Peet sehr akkurat vor, beschränkt sich nicht nur auf das bloße Wirken des Botschafters Kennedy (sei es politisch oder wirtschaftlich), sondern setzt dieses immer wieder in den Kontext der brisanten außen- und innenpolitischen Lage. Joe wird dabei gerne als Strahlemann dargestellt, als weltgewandter Playboy, der seine Nase gerne in den Wind hält und zahlreiche Affären pflegt. Eigennutz ist Trumpf, so verschifft er auf Kosten der Steuerzahler Unmengen an Whisky oder stößt sofort nach Hitlers Annexion des Sudentenlandes seine tschechischen Aktien ab.
Man lässt ihn gewähren, immer wieder zeigen jedoch Gedankenblasen seiner Mitarbeiter oder politischen Zeitgenossen, was sie wirklich von ihm halten, (v.a. Assistent Harvey Klemmer lässt gerne mal einen süffisanten „Gedankenspruch“ ab), was einen Schuss Ironie und Sarkasmus in das Geschehen einfließen lässt und die Handlungen Joes ehrlich reflektiert. Während Joe nicht nur Umgang mit politischer Prominenz pflegt (Marlene Dietrich war eine Freundin und nannte ihn „Papa Joe“), geraten auch seine beiden ältesten Söhne Joe jr. und John (JFK) in den Fokus. Beide unternehmen diverse Reisen durch das krisengeplagte Europa und sind Joseph dabei Augen und Ohren, der sich so ein Bild von der internationalen Lage erhofft.
Der Band scheint akribisch recherchiert, ohne dabei zu langweilen. Dafür sorgt schon der Hauptdarsteller Joseph „Joe“ Kennedy als windiger Geschäftsmann und opportunistischer Politiker, der sich nur wenig darum schert, welche Auswirkungen und Folgen seine eigenmächtigen Aktionen haben. Kleine kuriose Begebenheiten, die im Comicteil geschildert werden, sind dabei im ausführlichen Anhang dokumentiert, so beispielsweise eine Fast-Begegnung mit einem Ölhändler, was Joe zu einer überstürzten Flucht veranlasst. Interessant auch der Zeichenstil: ein relativ dicker, vermeintlich grober Tuschestrich, der jedoch mit nur wenigen Strichen sofort erkennbare Gesichter der historischen Personen entstehen lässt. Alle, die geschichtlich interessiert sind und mehr über den Kennedy Clan erfahren möchten, sind hier bei dieser kurzweiligen Familien-Biografie bestens aufgehoben. (bw)
Die Akte Kennedy, Band 1
Text & Story: Mick Peet
Bilder: Erik Varekamp
176 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
24 Euro
ISBN: 978-3-551-71127-4