„Disease! Disease! Spreading the disease!“ Mit dieser doch eher drastischen Auftakt-Ansage zog uns 1987 ein Album einen Scheitel, das so gar nichts mit dem Radio-Poser-Rock zu tun hatte, der auf MTV rotierte: mit ihrem dritten Ausritt „Among The Living“ zementierten die New Yorker von Anthrax ihren Ruf als Macht im Thrash Metal, in dem sie als „Big Four“ gemeinsam mit Slayer, Megadeth und den Metallica vor dem schwarzen Album, als sie die Bürgersleute erschreckten, die heute Front Of Stage Tickets für sie erstehen, die Musikwelt ordentlich durchschüttelten. Die Anthrax-Markenzeichen waren alle voll erstrahlt: nähmaschinenartiges Stakkato-Riffing (von uns wertschätzend als „Anthrax-Geknotter“ bezeichnet), brachiale Grooves, der markant-gar nicht so thrashige Gesang von Joey Belladonna – und vor allem das Auftreten der Kollegen, die im Gegensatz zu ihren eher grimmigen Kollegen auch jede Menge Spaß in den Backen hatten.
Man trug kurze Hosen (die man im knalligen „State of Euphoria“-Gelb auf den Monsters of Rock-Festivals 1988 sogar als Merchandise feilbot), fuhr Skateboard (wir verweisen hier gerne auf das legendäre Tankard-Shirt „We can’t skate but we drink“), Joey wirbelte im vollen Häuptlingsschmuck über die Bühne (geht heute natürlich nicht mehr, kulturelles Dingens und so, schon klar), man liebäugelte sogar mit damals noch „feindlichen“ Genres wie Rap (bei „I’m the Man“): das war alles sehr erfrischend, irgendwie anders und machte gehörig Spaß. Auch inhaltlich war einiges geboten – gerne ließen sich die New Yorker Buben von Romanen inspirieren und konnten auch mit Comics schon immer etwas anfangen. Mit „I Am The Law“ setzten sie, inklusive ikonischem T-Shirt, dem britischen Underground-Oberpolizisten Judge Dredd ein Denkmal, und Stephen Kings Bücher dienten mehr als einmal als Anregung für Songtexte. Sind wir also froh, dass sie nach den düsteren 90ern wieder als Macht auf den Bühnen zurück sind, Genregrößen wie Alex Ross für ihre Covers gewinnen können (so z.B. für das spaßige „Music of Mass Destruction“ mit Captain Thrax oder auch „For All Kings“) und nun auch das erste vollgültige Comic in den Moshpit werfen.
Dabei gehen sie nicht den Weg, den Iron Maiden einschlugen, die für ihre „Legacy of the Beast“-Serie eine (etwas wirre) Story um Eddie entwarfen, oder auch Slayer, die bei der Version von „Repentless“ eher die Atmosphäre des Albums umsetzten. Die hier vorliegende Kompilation schlägt eher in die Kerbe klassischer Horror-Anthologien vom Schlage der „Creepshow“: zunächst wird das Bandmaskottchen Not-Man in einer Rahmengeschichte in einem apokalyptischen Szenario zum Zombie aktualisiert, um dann mit einem Sinnspruch die einzelnen Geschichten einzuleiten. Die präsentieren dann in der Reihenfolge des Albums einzelne Umsetzungen jedes Songs, wobei jeweils ein anderes Autoren/Zeichner-Team zum Zuge kommt. Bei der Umsetzung des Openers „Among The Living“ bleiben Brian Posehn und Scott Koblish noch relativ nahe an der Vorlage, die von Stephen Kings Endzeit-Roman „The Stand“ inspiriert vom weltumspannenden Virus namens Captain Trips berichtet, der das Böse in uns allen erweckt und nur gemeinsam besiegt werden kann.
Das Geschehen ist durchzogen von Textzeilen aus dem Song („I’m the walking dude!“, der als Referenz auf das Albumcover auftritt, das seinerseits auf den düsteren Prediger aus „Poltergeist II“ anspielte, „Man fights Man“), die sich optisch durch die Panels schlängeln und die rasende Stimmung kongenial einfangen. Freier geht es dann bei „Caught In A Mosh“ zu, einer düsteren Zukunftsvision, in der arme Wichte im „ewigen Pit“ moshen müssen, um die Oberstadt der Herrschenden mit Energie zu versorgen (Metropolis und Matrix lassen grüßen). „Drokk It!“ heißt es dann bei „I Am The Law“, wo Flitzefinger Scott Ian und Chris Weston die ganze Judge Dredd-Riege inklusive Judge Anderson einsetzt und sogar die Zerrbilder der dark judges mit herausbeschwört, bevor sich ein infizierter Dredd selbst verurteilt und in den Iso Cube einliefert.
Ganz finster wird es dann bei NFL: diese Mär eines erfolglosen Komödianten verwandeln Rick Remender und Roland Boschi in eine pechschwarze Fabel, in der der moderne Faust Arnold David einem klaumaukigen Mephisto namens Djinn Henson (nach eigenen Worten ein Glam Rocker, der mit Fönwelle auch genauso aussieht) seine Seele verkauft, um ein zweifelhaftes „nice fucking life“ zu haben. Gänzlich alptraumhaft gerät dann Corey Taylors (hauptamtlich Sänger von Slipknot) Version von „Skeletons In The Closet“: auf dem Album eine weitere Stephen King-Adaption (umgesetzt ist hier die Kurzgeschichte „Apt Pupil“, in der ein Ex-Nazi einen jungen Schüler korrumpiert), erleben wir hier in einer durchaus ähnlichen Atmosphäre eine Lovecraftsche Vision eines von düsteren Herren angetriebenen Mörders.
Ernsthafter wird es dann wieder bei Grant Morrisons Version von „Indians“, mit dem Anthrax seinerzeit ein durchaus politisches Zeichen setzten: in einer Welt nach der großen Umweltkatastrophe ist nur noch das „bemalte Volk“ übrig, das über die Ruinen der „Termitenbauten“ (also ehemaligen Großstädte) der „Geister“ schwebt. Die sind die Nachkommen der komplett verseuchten Menschen, die ihre Welt durch Profitgier versaut und dann die Rechnung erhalten haben, wie das schon weiland auf dem Planet der Affen vorkam. Anthrax-Basser und Bühnenflummi Frank Bello himself präsentiert dann in „One World“ einen frustrierten Angestellten, der ausrastet und auf eine Vernichtungsorgie geht („Falling Down“, anyone?).
„ADI – The Horror Of It All“ bringt eine in schwarz/weiß gehaltene SF-Geschichte um den Robonauten Arthur Dalton Ibson, der von seinem Auftraggeber gelackmeiert wird, bevor dann Genre-König Rob Zombie mit einer komplett abgedrehten Fassung von „Imitation Of Life“, mit dem sich Anthrax über die Horden von Pseudo-Plastik-Personen im Musikbusiness lustig machten, den Reigen beschließt: ganz im Geiste von „Mars Attacks“ greifen hier Aliens an, pusten reihenweise Menschen um, die dann als absurde Reinkarnationen bekannter Persönlichkeiten wiederkehren. Somit eine mehr als furiose Vision auf Basis eines epochalen Albums, das beim Skinless Crow-Verlag hübsch gemacht mit Rückseiten- und Cover-Galerie (auch wahlweise in einer limitierten Hardcover Variante) und einem kleinen Vorwort von Joey Belladonna erscheint. Wir sagen: NOT!! (hb)
Anthrax – Among the Living
Text & Story: Scott Ian, Corey Taylor, Rob Zombie, Gerard Way,
Mikey Way, Grant Morrison, Brian Posehn, Jimmy Palmiotti,
Brian Azzarello, Rick Remender, Joe Trohman u.a.
Bilder: Charlie Benante, J.G. Jones, Eric Powell, Darick Robertson,
Scott Koblish, Erik Rodriguez, Maan House, Roland Boschi, Steve
Chanks, Dave Johnson u.a.
160 Seiten in Farbe, Softcover
Skinless Crow
24,50 Euro
ISBN: 978-3-0396-3002-8