Geliebter Feind. Böses Spiegelbild. Superschurke par excellence. Wenn es stimmt, dass in einer Geschichte der Bösewicht stets spannender ist als der Held – und das wusste schon der alte Shakespeare, wer interessiert sich schon für den Langweiler Duncan, wenn er einen Macbeth haben kann? – dann trifft das für den Clown mit dem leicht gestörten Realitätssinn unbedingt zu. Natürlich gehört eine Galerie von Intimfeinden zum Superheld wie Cape und Spandex-Hose (was wären die FV ohne Dr. Doom, Spider-Man ohne den Kobold oder Superman ohne den Langhaar-Träger Lex Luthor?), aber eine derartig böse Symbiose zwischen Held und Antiheld, wie sie Bruce Wayne und den psychopathischen Meister der üblen Scherze Joker verbindet, bleibt im Comicreich einzigartig. Anläßlich des 75. Geburtstags des Jokers liefert diese aufwendige Zusammenstellung von einigen der legendärsten Zusammentreffen, die vom ersten Auftritt des finsteren Gesellen die durchaus wechselhafte Historie in Erscheinung und Relevanz des Jokers nachzeichnet, einen famosen Überblick über die Dekaden umspannende Hassliebe der beiden Herren.
Ersonnen vom Kreativteam Bob Kane, Jerry Robinson und Bill Finger für die erste Ausgabe der eigenen Batman-Serie von 1940, erscheint der Joker zunächst als eiskalter, perverser Erpresser, der sich einen perfiden Spaß daraus macht, seine Taten vorher anzukündigen und dann trotz aller Versuche der Polizei, die Opfer zu schützen, zuschlägt („The Joker“, „The Joker Returns“, Batman 1 und 2, 1940). Um ihrem finsteren Detektiv einen würdigen Gegner an die Seite zu stellen, ließen sich die findigen Köpfe (wie auch schon für den Helden selbst, einer Mischung aus Zorro und The Bat) vom Kino inspirieren: die Züge des Jokers erinnern mehr als nur deutlich an den Horror-Film ‚The Man Who Laughs‘ von Paul Leni, in dem Conrad Veidt 1928 mit grinsender Fratze das Publikum erschreckte. Jenseits von allen späteren Albernheiten zeigen gerade diese ersten Auftritte die Abseitigkeit und die Düsternis, die sowohl Held als auch Antiheld auszeichnete und in den späteren Verfilmungen von Christopher Nolan kongenial umgesetzt wurde. Der Joker avancierte sofort zum wiederkehrenden Gast in Batman und Detective Comics, wo Bill Finger und Lee Sayre Schwartz 1951 mit „The Man Behind The Red Hood“ die Figur erstmals auch mit einer Hintergrund-Story abrundeten: der Joker begann seine Karriere als mysteriöser Gangster hinter der roten Maske, der beim Überfall einer Spielkartenfabrik durch mit Chemikalien verseuchtes Wasser schwimmt und so zum Monster mit weißer Haut und grünen Haaren wird (Jahrzehnte später kamen Alan Moore und Brian Bolland in ihrem meisterhaften „Killing Joke“ auf diese Elemente zurück und führten eindrucksvoll vor, dass Batman und Joker Doppelgänger sind, zwei Seiten einer Medaille, die nur durch einen schmalen Grat getrennt und auf ihre Art gleichermaßen psychopathisch sind).
Spätestens der Comics Code, die freiwillige Selbstkontrolle der angeblich jugendgefährdenden Bildschriften, setzte der allzu perfiden Verbrechenslust des Jokers zunächst ein Ende, der in den 50er und 60er Jahren vor allem mit immer neuen Gadgets gegen das dynamische Duo antrat und stets den Kürzeren zog (von dieser Ära geben hier die Stories „The Joker’s Utility Belt“ von 1952 und „The Joker’s Comedy Capers“ von 1965 einen passenden, amüsanten Eindruck). Als sich Batman Anfang der 70er Jahre vor allem in den Händen von Dennis O’Neil und Neal Adams weg von der poppigen, campigen 60er-Fassung der Fernsehserie wieder seinen Ursprüngen als Detektiv der Nacht zuwandte, feierte auch der Joker in seiner ganzen kranken Pracht ebenfalls ein schauerhaftes Comeback: in „The Joker’s Five-Way Revenge“ (Batman 251, 1973) kehrt er als Horrorclown nach Gotham zurück, räumt mit allen ehemaligen Kumpanen auf, wirft Batman buchstäblich ins Haifischbecken und muss sich dann doch noch seinem Lieblingsfeind stellen – der ihn in einer ikonischen Zeichnung mit den Gedanken „The night has taken its toll on me“ im Mondlicht verfolgt (was es als Poster für diverse Sammelmarken im Supie-Shop bei Ehapa gab und bis heute meine Wand ziert).
Noch einen Zacken düsterer und für viele Batman-Freunde stilprägend geriet dann der Run von Steve Englehart und Marshall Rogers, die Batman als Kulmination der 70er in einem von Korruption zerfressenen Gotham ins Visier von machtgierigen Politikern (Rupert Thorne), alten Feinden (Hugo Strange) und emotionalen Krisen (seine Geliebte Silver St. Cloud) kommen ließen. In den Kampf um die Vorherrschaft in der Stadt greift natürlich auch der Joker ein, der in „The Laughing Fish“ (Detective Comics 475, 1978) wieder seine teuflischen Chemikalien einsetzt, wobei Englehart und Rogers einzelne Panels und Dialoge nahezu deckungsgleich aus den ersten beiden Joker-Auftritten von 1940 übernehmen, als dieser wie damals geplante Morde im Radio ankündigt. Etwas weniger realistisch, aber nicht weniger gewaltsam gestalten sich dann die Auftritte in „Dreadful Birthday, Dear Joker“ aus der Feder von Len Wein und Walter Simonson (Batman 321, 1980) und „Last Laugh“ von Gerry Conway und José Luis Garcia-Lopez (Batman 353, 1982), bevor in Mike Barrs und Alan Davis‘ Run aus den Mitt-80ern ein neuer Höhepunkt erreicht wird. Als der Joker mit Hilfe eines Mad Scientist Catwoman einer Gehirnwäsche unterzieht und sie gegen ihren Geliebten Batman aufhetzt, verliert der vollständig die Contenance („Last Laugh“, Detective Comics 570, Januar 1987; diese Geschichte war auch schon in der Alan-Davis-Batman-Collection enthalten).
Ironischerweise ist es Jason Todd, der als Robin seinen Mentor gerade noch davon abhalten kann, den Joker ins Jenseits zu befördern – der ihn nur wenige Monate später im aufsehenerregenden „Tod in der Familie“ töten wird. In „A Clash Of Symbols“ (Detective Comics 617, Juli 1990) führen Alan Grant und Norm Breyfogle einmal mehr die sinnbildhafte Konfrontation zweier verwandter Seelen vor, mit „Laughter After Midnight“ kommen auch die cartoon-bezogenen Batman Adventures von Paul Dini und John Byrne zu Ehren, bevor der Reigen dann mit „The Man Who Laughs“ (einem direkten Rückbezog auf die filmische Inspiration des Jokers) von Ed Brubaker und Doug Mahnke und „Time To Monkey Shine“ von 2013 bis in ganz aktuelle Regionen fortgesetzt ein Ende findet.
Eine wahre Fundgrube für alle Freunde des Clownprinzen des Verbrechens tut sich hier auf, die einen faszinierenden, kontinuierlichen Überblick über die Entwicklung der Figur erlaubt, von den perversen Anfängen, die vor allem die modernen Dark Knight-Filme wieder aufgreifen, über die (sicherlich in großen Teilen von außen verordneten) Harmlosigkeiten der 60er über den sozialen Realismus der 70er bis hin zur psychologisierenden Interpretation des Jokers als Zerrbild des Helden, die spätestens seit Frank Millers ‚The Dark Knight Returns‘ Einzug gehalten hat. Womit wir eigentlich schon beim einzigen Punkt wären, die an dieser absolut hochwertigen, mit Essays und Covers ergänzten Anthologie ein kleines Manko darstellt: von einigen legendären Meilensteinen in der Joker-Historie – eben der „Rückkehr des dunklen Ritters“, den ebenfalls schon erwähnen „Death in the Family“ und „Killing Joke“, aber auch weiteren Epen wie „Hush“ oder „Arkham Asylum“ – künden hier zwar die erklärenden Zwischentexte, aber leider keine direkten Auszüge. Nachdem wir es hier aber mit einem Sammelband aus den verschiedenen Heftserien zu tun haben, innerhalb dessen die ausladenden genannten Werke wohl jeden Rahmen sprengen würden, tut das dem Verdienst keinen Abbruch, dem Joker zum 75. ein würdiges Denkmal gesetzt zu haben. Zumal der Preis mit knapp 30 Euro mehr als fair ist. (hb)
Joker Anthologie
Text: Bill Finger, Dennis O’Neil, Alan Grant, Andy Kubert, Len Wein, Steve Englehart, Gerry Conway, Alan Grant, Paul Dini, Ed Brubaker
Bilder: Bob Kane, Jerry Robinson, Dick Sprang, Neal Adams, Lee Sayre Schwartz, Walter Simonson, Marshall Rogers, Norm Breyfogle, John Byrne, Doug Mahnke
372 Seiten in Farbe
Panini Comics
29,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-353-4