Wieder mal ein neuer Austragungsort, jedoch mit altbekanntem Ablauf: Schlangestehen, Zeichnung ergattern, und dabei nicht vergessen, auch ein wenig Spaß zu haben. Dies ist uns auch in diesem Jahr wieder bestens gelungen!
Umzüge sind immer so eine Sache: es ist ein rechter Aufwand, irgendwas geht meistens kaputt, und ob es dann am Ende wirklich besser ist, das stellt sich erst im Nachhinein heraus. Im Gegensatz zum Erlanger Pendant, wo sich der Comicsalon nach Jahren in der Heinrich-Lades-Halle mittlerweile als Zeltfestival im Stadtkern etabliert, vagabundiert man in München öfters umher, mal im Alten Rathaus, dann im Künstlerhaus am Lenbachplatz, zuletzt immer wieder in den alten Messehallen auf der Theresienhöhe – und für 2023 hat man sich dann mit dem Gasteig die nächste neue Location ausgesucht (mit freiem Eintritt!), die zumindest als Kulturzentrum ja irgendwie passt.
Frohen Mutes machen wir uns also auf den Weg, den wir aus früheren Besuchen in der Stadtbibliothek ja bestens kennen – nur um festzustellen, dass man offenkundig auch im Hause Gasteig dem Umzug gefrönt hat. Trotz diverser Unbill aufgrund U-Bahn-Bauarbeiten schaffen wir es irgendwann, im Gasteig HP8 einzulaufen (am zweiten Tag geht uns dann irgendwann auf, dass das für die Adresse in der Hans Preißinger Straße 8 steht), wo wir konstatieren: reichlich schmucklos scheint uns das Ambiente in der Halle E, wo im Rahmen der Independent Messe die ersten Signiertische zu finden sind (links), man mag das als „industrial chic“ bezeichnen, mit Betonwänden und Baukranträgern, die üblicherweise das Foyer der Philharmonie beheimaten.
Nun denn, wir sind ja nicht zum Bestaunen des Interieurs hier, sondern begeben uns mit reichlich Verspätung zum Tisch von José Homs, der seine fulminante Serie SHI verziert. Wir erhaschen zwar einen aussichtsreichen Platz in der Schlange, staunen aber nicht schlecht, als kurz bevor wir an der Reihe sind der Verkauf des in Rede stehenden Albums eingestellt wird. Behende stürme ich in den Saal X, um das Material zu besorgen, gehe allerdings leer aus: sehr überschaubar, mehr wie ein (gut geheiztes) Wohnzimmer wirkt dieser Hauptsaal, in dem viele der sonst unausweichlichen üblichen Verdächtigen wie der Splitter Verlag mit vollständiger Abwesenheit glänzen. Zurück in Halle E helfen mir im ersten Stock dann die Lokalmatadoren von der Comic-Company dankenswerteweise aus, sodass einer wunderbaren dédicace von Herrn Homs nichts mehr im Wege steht.
Direkt in der Nachbarschaft plaudern Thomas von Kummant und Benjamin von Eckartsberg (rechts), die mit voller Familienstärke angerückt sind, launig über den schicken Gung Ho-Schuber, der wohl in der französischen Ausgabe mit zehn Einzelbänden noch voluminöser daherkommt als der schon eindrucksvolle deutsche Kollege. Einen regen Ansturm darf auch Kate Beaton verzeichnen, deren komplexes, autobiografisch angehauchtes Epos „Ducks“ für Furore sorgt. Links daneben bauen sich die Freunde von Panini ein Tischchen auf, an dem über die nächsten Tage die britischen Gentlemen Mark Buckingham und Mike Perkins geduldig die teilweise tonnenschweren Stapel von mitgebrachten Gesamtausgaben signieren und nebenher – die Comic Cons lassen grüßen – behende Drucke und Originalseiten feilbieten. Auch wenn wir beim Würfelspiel – von Zeremonienmeister Bubenheimer ganz modern digital per Handy ausgeführt – nicht reüssieren, gilt das Motto „a bisserl was geht immer“: Herr Buckingham unterzeichnet gerne nebenher unsere Miracleman-Mitbringsel und berichtet jovial, dass er gerade noch an Heft 6 der Fortsetzung der legendären Reihe zeichnet und Heft 7 zumindest in Planung ist. Das freut uns doch enorm.
Ebenso freut uns, dass Matthias Schultheiss sich auch heute wieder als äußerst gesprächig und leutselig zeigt. Während wir ihm die von ihm kolorierte Neuausgabe der Bukowski-Stories unter dem Titel „Kaputt in der City“ zum Signieren hinlegen und natürlich auch unsere alten Editionen der legendären Klassiker „Die Haie von Lagos“ und „Die Wahrheit über Shelby“ nicht vergessen, erzählt uns der Meister gut aufgelegt durchaus Bemerkenswertes: als Abwechslung zum Bleistift arbeitet er auch gerne mal mit der Kettensäge, hebt eigenhändig Teiche aus, die er mit blauem Lehm füllt (aber Vorsicht, wenn man alles vorher nicht mit dem Besitzer abklärt, der dann den Rückbau verlangt) und führt immer noch seinen Blog, auf dem das gesamte Werk zu bestaunen ist. Von „Shelby“ steht eine Neuauflage wohl zumindest in den verlegerischen Sternen, nur die Originalseiten hat er gelocht/geheftet, die müsste man eben nochmal einscannen, aber das sollte ja kein allzu großes Hindernis sein. Mit diesem bunten Strauß an Hintergründen gestärkt, orten wir ihn doch tatsächlich abends dann im benachbarten Biergarten, wo er uns mit Freude für ein spaßiges Roggenroll-Unsie beispringt. Guter Mann!
Als kleine Pausenunterhaltung schlendern wir nochmal durch die Gänge, beziehungsweise versuchen es zumindest, denn die in Erlangen übliche Kombination von Verlagsmesse mit diversen weiteren Attraktionen wie Figürchen, Bausätzen, Tassen und anderen Devotionalien fällt hier so gut wie unter den weißen Klapptisch, ebenso wie das breite Spektrum der Ausstellungen, die entweder über die ganze Stadt verstreut (z.B. die Zeitungscomics-Expo „Yes we Käng!“ im Amerikahaus oder der Schwerpunkt tschechische Comics in Persona von Jaromir 99 im Tschechischen Zentrum) oder so sorgfältig versteckt sind, dass wir sie nicht auffinden.
Wir lassen uns nicht verdrießen und schauen dafür nochmal ausführlicher im 1. Obergeschoss vorbei, wo sich in einer Ecke die launige Pfälzer Crew vom Salleck Verlag mit Josch vom Dantes Verlag und der Comic Company den überschaubaren Platz teilt, samt diversen Signiertischen. Der umtriebige Szeneveteran Eckart Schott hat auch dieses Mal wieder diverse Hochkaräter am Start: neben den gern gesehenen Eric Heuvel und Félix Meynet, der Band 4 seiner Serie „Sauvage“ im Gepäck hat (wird „just in time“ an Tag 2 angeliefert), gibt sich wie schon letztes Jahr in Erlangen Olivier TaDuc die Ehre (links), bei dem wir uns das Western-Epos vom „Chinaman“ inklusive des Nachschlags „Der Tiger erwacht“ aufhübschen lassen.
Im Erdgeschoss der Halle E setzt derweil emsiges Treiben ein: Punkt 17 Uhr muss dort alles ordnungsgemäß geräumt werden, immerhin werden auch an diesem Abend wieder kulturelle Hochlichter in Form eines Konzertes in der Philharmonie aufgefahren, weshalb sich alsbald nobel gekleidetes Publikum in die Schar der kurzhosigen Motto-T-Shirt-Vorführer mengt. Das nennt man kulturelle Vielfalt, möchte man da ausrufen – ob das für die Standbetreiber der Independents wirklich zielführend ist, mögen andere beurteilen.
So schließen wir Tag 1 durchaus zufrieden ab, treffen wie schon erwähnt im Biergarten noch die Prominenz und reisen auch tags darauf unbeirrbar an, wobei wir uns dieses Mal ganz elegant vor die Türe chauffieren lassen. Es ist ja Brückentag und wenig los auf der Gasse. Was sich dann auch in der Besucherdichte niederschlägt, die nochmals weniger Laufkundschaft als gestern aufweist. Wenn man die Chose von oben in einem Zeitraffer aufnehmen würde, ergäbe sich wahrscheinlich das Bild einer wabernden Gruppe, die mehr oder weniger von einem zum nächsten Stand wackelt: der sattsam bekannte harte Kern der Zeichnungsjäger ist heute nahezu unter sich, was die üblichen Aufdringlichkeiten und sozialen Absonderlichkeiten noch einen Zacken offenkundiger macht.
Aber wir wissen ja, was geboten ist, und notieren wohlwollend, dass man bei Panini nicht nur aufs Würfelglück setzt: nachdem die Schlange offenbar beherrschbar ist, gibt es für den Niederländer Hanco Kolk (rechts) kurzerhand ein Ticket für jeden. Feiner Zug, wir bleiben dann einfach mal stehen und warten geduldig, bis wir an der Reihe sind und Herr Kolk seinen „holländischen Asterix“ „Gilles der Gauner“, aufgelegt in einer schmucken Gesamtausgabe, gut gelaunt plaudernd (hier würde man sich viel besser um die Zeichner kümmern als bei den Festivals in Holland) verziert (die kleine Namenspanne, als er mein Exemplar meinen Vorschlangesteher zuwidmet, löst er elegant, indem er den Namen kurzerhand schwarz übermalt – gewusst wie) und auch das Spirou-Spezial-Abenteuer „Tulpen aus Istanbul“ geduldig signiert.
Im Anschluss zeigt sich dann einmal mehr, dass mit einer gewissen Leichtigkeit des Seins mehr zu erreichen ist als mit der von allzu vielen hier praktizierten Verbissenheit: gingen wir gestern beim Würfelspiel noch leer aus, gilt heute am Carlsen Stand bei Charel Cambré (links) unerwarteterweise das Motto „er macht einfach so viele, wie er schafft“, und das inkludiert auch uns, weshalb wir uns über einen durchaus detailreichen Spirou in „Happy Family“ einem weiteren Band der Spezial-Reihe, freuen dürfen. Auch Lokalmatador Uli Oesterle (rechts) treffen wir mehr oder weniger zufällig an und erfahren so, dass Band 2 des autobiografisch angehauchten „Vatermilch“ in Arbeit ist und spätestens zur Frankfurter Buchmesse fertig werden soll – wenn alles klappt, was wir doch hoffen wollen.
Natürlich muss ich auch mein kleines Privatprojekt weiterführen – wann immer Manuele Fior im Lande ist, sammle ich eine weitere Zeichnung in meiner „Fräulein Else“. Das findet auch Herr Fior zunehmend amüsant („the series has to continue!“ – siehe links) und stellt erstaunt fest, dass wir das schon seit 2012 so halten – „we are getting old“, schmunzelt er und wendet sich wieder der Kiste zu, die er am Stand abarbeiten darf (ist eine Live-Signier-Stunde nicht irgendwie spannender für alle Beteiligten?) und selbst der Verlagsmeister unseren Brauch wohlwollend honoriert. So neigt sich dann auch dieser Tag dem Ende zu, erneut mit Umbau zu Gunsten der Philharmonie, Verleihung der PENG!-Preise im Amerikahaus (bedacht wurde z.B. Dave McKeans „Raptor“ und die Neuedition der klassischen „Swamp Thing“-Geschichten von Alan Moore, ebenso wie die Asterix-Übersetzerin Gudrun Penndorf für ihr Lebenswerk, s.u.) und dem dann üblichen lockeren Austraben. Zwei Tage Comicfestival München gehen für uns damit zu ende. Nächster Halt: Erlangen 2024! (hb)
Hier die Übersicht der diesjährigen PENG!-Preisträgerinnen und Preisträger:
– Bester deutschsprachiger Comic: „oh cupid“ von Helena Baumeister, erschienen im avant-verlag
– Bester europäischer Comic: „Berichte aus der Ukraine 2: Tagebuch einer Invasion“ von Igort, erschienen bei Reprodukt
– Bester Comic aus dem englischen Sprachraum: „Raptor“ von Dave McKean, erschienen bei Cross Cult
– Beste Sekundärliteratur: „The Katzenjammer Kids“, der „Katalog“ zur Ausstellung, von Alexander Braun, erschienen im avant-verlag
– Beste Edition eines Klassikers: „Swamp Thing“ von Alan Moore, John Totleben, Stephen Bissette u.a., erschienen bei Panini Comics
– Sonderpreise: Timur Vernes („Comicverführer“) und Rainer Schneider (besondere Leistungen für die Münchner Comickultur)
– Preis für das Lebenswerk: Gudrun Penndorf, die u.a. die ersten 29 Asterix-Alben übersetzte und gerade ihren 85. Geburtstag feierte