Ich habe… getötet, Band 1 (Splitter)

Mai 10, 2017

Splitter präsentiert mit „Ich habe… getötet“ wieder das Prinzip einer Konzeptserie. Ähnlich wie bei „Die Meister der Inquisition“ und „Elfen“ oder auch bei „Tag X“ von Panini werden bestimmte Beiträge und Variationen zu einem Thema als abgeschlossene Einzelalben veröffentlicht. Hier sind es berühmte Morde, die oft auch den Lauf der Weltgeschichte beeinflussten oder gar änderten, bzw. die dazugehörigen Mörder, die näher beleuchtet werden. Das Besondere: jeder Band wird von einem anderen Autorenteam gestaltet. Den Auftakt machen zwei Routiniers: Serge Le Tendre und Guillaume Sorel, die sich des Ur-Mörders Kain annehmen, der bekanntlich aus Neid und Missgunst seinem Bruder Abel meuchelte. Siehe Bibel, Altes Testament. Aber die beiden Franzosen setzen den Stoff dann doch ganz anders um, als man denkt oder erwartet – doch dazu gleich mehr.

Zuerst zum Inhalt: Mesopotamien, vor ganz langer Zeit. Just als der Hirte Hamor der Hochzeit seiner einzigen Tochter beiwohnt, wird er zu seinem König Nebunezar nach Babylon befohlen. Dort versucht der streng an Jahwe gläubige Hirte dem grausamen Gottkönig ins Gewissen zu reden. Doch der verhöhnt ihn nur und verdammt Hamor, an seiner Seite zu bleiben. Denn Nebunezar sehnt den Tod herbei und will mit Hamors Hilfe ergründen, warum er nicht sterben kann, bzw. jede Schlacht unbeschadet ohne jeglichen Kratzer übersteht. Hamor arrangiert sich mit seinem goldenen Käfig. Er genießt die Annehmlichkeiten des Palastes und sieht es als seine göttliche Mission an, den Herrscher zu verstehen und zu mäßigen. Als Nebunezar Jerusalem erobern und gegen die Hebräer, die „Schutzbefohlenen Gottes“, in den Krieg ziehen will, warnt Hamor vor dem Zorn Jahwes. Vergebens. Später lernt Hamor die Sklavin Faya kennen und lieben. Und ahnt dabei nicht, dass auch hier Nebunezar sein intrigantes Spiel gegen ihn treibt. Dann endlich enthüllt der Gottkönig seine wahren Motive…

Spätestens jetzt sollte man sich die Frage stellen: was in aller Welt hat diese Geschichte mit Kains Mord an Abel zu tun? Antwort: Nichts. Und: falsche Frage. Denn wie der Titel der Reihe sagt, geht es nicht in erster Linie um den Mord, sondern um den Mörder. Und hier bedient sich Le Tendre eines Kunstgriffs, indem er quasi eine Art Fortsetzung der Geschichte schildert, die er in einer biblisch-historischen Umgebung ansiedelt. Er lässt Kain und Abel in den Personen von Nebunezar und Hamor wiederauferstehen und so gleichzeitig Gut und Böse aufeinander los. Was freilich erst spät im Band klar wird, zur Erläuterung hier aber doch erwähnt werden muss. Der gottesfürchtige Hamor ist die Reinkarnation Abels und wie er ein Hirte. Mit Nebunezar stellt Le Tendre ihm eine historische wie biblische Gestalt gegenüber (Nebukadnezar II., der hier wohl gemeint ist, eroberte im 6. Jahrhundert vor Christus vermutlich tatsächlich Jerusalem und vollendete u.a. den Turm zu Babel), die den unsterblichen Kain und damit das unsterbliche Böse verkörpert, das nur auf eine Art und Weise Erlösung aus der ewigen Verdammnis finden kann.

Klingt etwas weit hergeholt? Ja und nein. Zum einen hat Serge Le Tendre (u.a. „Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit“) für seine Geschichte alle künstlerischen Freiheiten, er muss sich nicht um historische Fakten scheren und hätte die Story genauso gut in jeder anderen Epoche oder gar in der Gegenwart verorten können. Zum anderen ist die hier gebotene Story nicht immer in sich schlüssig. Woher erfährt Nebunezar von Hamor? Wieso sieht er ausgerechnet in ihm die Reinkarnation seines Bruders? Wieso kann nur der ihn erlösen? Auch der Deutung des Lesers überlassen: Ist Nebunezar vielleicht doch nur ein irrer Tyrann, innerlich zerrissen von seiner Todessehnsucht, der sich einbildet, Kain zu sein? Zwar gibt es von Beginn an Andeutungen, aber das Kain-und-Abel-Motiv kommt erst ins Rollen, nachdem Hamor die Geschichte der feindlichen Brüder hört. Zuvor treiben die beiden Hauptakteure und Antagonisten ihr Spielchen miteinander. Hamor versucht sich leicht naiv mit Ratschlägen, die für ihn glaubenskonform sind, während Nebunezar diese mit drastischer Brutalität erschüttern und Hamor so stets in Versuchung bringen will.

Bei der gestalterischen Umsetzung des Bandes zeigt Guillaume Sorel wieder sein ganzes Können. Zuletzt beeindruckte er mit der originellen Graphic Novel „Appartment 23“, die er auch schrieb und die ebenfalls bei Splitter erschien. Zuvor illustrierte er „Die letzten Tage von Stefan Zweig“ (Dt. bei Jacoby & Stuart) und vor vielen Jahren, als Comicplus seinen morbiden Dreiteiler „Die Toteninsel“ veröffentlichte, besuchte er sogar schon einmal den Comicsalon in Erlangen. Sorels Zeichenstil besitzt einen hohen Wiedererkennungswert. Seine Bilder sind direkt koloriert, was immer eine besondere „oldschool“-Atmosphäre erzeugt – siehe auch die aktuellen Alben Hermanns. Überhaupt erinnert Sorels zackig-kantiger Stil bisweilen an den belgischen Altmeister, aber auch die morbiden Arbeiten des bereits verstorbenen Daniel Hulet klingen an. Volle Breitseiten feuert Sorel mit seinen Panoramen ab, sei es der Auszug des babylonischen Heeres durch das Ishtar-Tor oder die Belagerung Jerusalems. In Frankreich sind bei Vents d’Ouest bereits fünf Bände der Reihe erschienen, die u.a. den Mord an John Lennon zum Thema haben. In Band 2 von Splitter muss dann demnächst beim Attentat von Sarajewo Franz Ferdinand dran glauben. Hier sind dann die Interpretations-Grenzen aber enger gesetzt… (bw)

Ich habe… getötet, Band 1: Abel
Text: Serge Le Tendre
Bilder: Guillaume Sorel
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
15,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-448-3

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