Seltsam. Eigentümlich. Absonderlich. Diese und ähnliche Wörter kommen ausgerechnet bei dem Mann, der sich Stephen Strange nennt, nicht vor. Denn er weiß: übernatürliche Wesen sind ständig um uns – nur, dass wir Normalsterblichen sie eben nicht sehen. Und so wundert sich Dr. Strange anfangs auch gar nicht weiter darüber, dass ihm immer mehr Kroppzeug über den Weg kriecht, das üblicherweise dann doch in unserer Dimension nichts verloren hat. Etwa ein Stamm nomadischer Seelenfresser, der einen kleinen Jungen befällt, weil die Viecher nach den Worten ihrer Anführerin einem nicht näher erklärten kommenden Massaker entgehen wollen. Oder auch einen besonders hartnäckigen Psycho-Egel.
In der Bar ohne Türen, dem Treffpunkt aller Hexer und Magier New Yorks (darunter alte Bekannte wie Scarlet Witch und Dr. Voodoo), plauscht man dann über die Vorkommnisse, ohne zunächst einen Zusammenhang zu sehen. Dann aber sucht die junge Bibliothekarin Zelma Stanton das Sanctum Sanctorum auf, weil sie es irgendwie seltsam findet, dass aus ihrem Kopf diverse zahnreiche Mäuler wachsen. Dr. Strange schafft es zwar, diese Hirnmaden zu vertreiben, aber seine Zauber funktionieren definitiv nicht mehr wie gewohnt. Irgendetwas ist gewaltig faul im Zauberlande, und bald stellt sich heraus, mit was es die übernatürliche Welt zu tun hat: die Empirikul, eine mächtige Maschinenrasse, hat es auf nichts anderes als die Magie der gesamten Erde abgesehen – und nachdem Dr. Strange bekanntlich der mächtigste Magier überhaupt ist, wirft er sich wohl oder übel der Übermacht entgegen, was ihm gar nicht gut bekommt…
In seinem feschen Relaunch des Meisters der mystischen Mächte verpasst Jason Aaron der Figur des Stephen Strange eine radikale Frischzellenkur: kam der Magier in seiner ursprünglichen Inkarnation, die Stan Lee und Steve Ditko 1963 schufen (bei uns zuletzt im dritten Classic-Band der Offiziellen Marvel-Comic-Sammlung zu bewundern), oft als bedeutungsschwanger und teilweise ziemlich psychedelisch daher, avanciert er bei Aaron zum hippen Troubleshooter für alle übernatürlichen Lebenslagen. In Greenwich Village, so geht die Rede, da wohnt einer, der hilft, wenn Deine Wände anfangen zu bluten, Dein Hund mit Dir spricht oder sonst wirres Zeug passiert. Who you gonna call? Doc Strange!, möchte man da in Gedenken an gewisse illustre Geisterjäger fast ausrufen. Dabei führt der gute Stephen wie Dr. Who persönlich hintersinnige Reden und witzelt sich durch existentiell brenzlige Situationen, begleitet vom treuen Wong und der Privatbibliothekarin Zelma, die flugs zum neuen Ssidekick gerät.
Jenseits aller Scherze und Weibergeschichten (ja, der neue Strange ist nebenbei ein echter Schwerenöter!) liegt aber eine mystische Schwere, die durch die Komik nur teilweise aufgelockert wird: die Magie hat ihren Preis, Strange stirbt dabei jedes Mal einen kleinen Tod, und nur Wongs heimlicher Intervention hat er es zu verdanken, dass er überhaupt noch unter uns wandelt. Somit transportiert Aaron die Figur kongenial in die schizophrene Gegenwart, die die Gravitas des Originals (das die erste Seite sehr schön aufruft, auf der einige Panels der Origin-Story mit modernen Gedanken von Strange kontrastiert werden) mit seelenrettender Satire kombiniert. Chris Bachalo (u.a. X-Men) inszeniert das Ganze rasant, voller Horror-Momente, farbig knallig, teilweise wie einen bunten Trip, der dem neuen Doktor Seltsam bestens steht. Für Neueinsteiger hervorragend geeignet und somit auch zum Kinostart der Verfilmung mit dem einzig wahren Holmes Mr. Benedict Cumberbatch wunderbar passend. Die vorliegende Ausgabe versammelt die US-Hefte Doctor Strange 1-5 vom Dezember 2015 bis April 2016. (hb)
Doctor Strange, Band 1: Der Preis der Magie
Text: Jason Aaron
Bilder: Chris Bachalo
124 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
14,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-853-9