1984 (Splitter)

September 8, 2021
1984 (Splitter Verlag)

Winston Smith, ein Rädchen im totalitären Getriebe eines Unterdrückungsregimes in der gar nicht mehr allzu fernen Zukunft. Permanenter Krieg, vollkommene Kontrolle durch allgegenwärtige Televisorschirme, Volksverhetzung par excellence, die Herrschaft des Großen Bruders, der Dich immer sieht. Winston lernt Julia kennen, verliebt sich, nimmt Kontakt zur Untergrundorganisation namens Bruderschaft auf, liest subversive Schriften und muss doch feststellen, dass er den Spitzeln der Gedankenpolizei in die Fänge gelaufen ist. Ruppig wird er „umerzogen“ und liebt am Ende den großen Bruder.

Die Geschichte von George Orwells dystopischem Jahrhundertwerk ist so beunruhigend wie zeitlos: Manipulation der Masse durch eine herrschende Elite, durchgängiges Elend einer (pseudo)kommunistischen Misswirtschaft (die Orwell als ehemals überzeugter, vom Kommunismus zutiefst enttäuschter Antifaschist umso bitterer beobachtete), kreatives Umschreiben der Geschichte inklusive Eliminierung von Unpersonen (so praktiziert nicht zuletzt von Herrn Stalin) bis hin zur Kontrolle von Gedanken und Sprache, all das sah Orwell 1984 derartig klar voraus, dass ganz moderne Spielarten des Ministeriums der Wahrheit wie „cancel culture“ oder auch die Bemühungen zur Formung der Sprache, was bei Orwell unter dem Konzept Neusprech läuft, nicht so überraschend anmuten dürften, wie das manchmal scheint.

„Unser Ziel ist es, den Gedankenspielraum einzuengen, verstehst Du?“, so erklärt der emsige Mitarbeiter an der neusten Auflage des Neusprech-Wörterbuchs das größere Ziel. „Dann wird es keine Gedankenverbrechen mehr geben, weil es an Wörtern fehlt, um sie auszudrücken.“ Was nicht formuliert werden kann, das kann gar nicht erst gedacht oder gar umgesetzt werden. „Operation: Mindcrime“, so lautet nicht umsonst schon der Titel des grandiosen Konzeptalbums von Queensryche über Totalitarismus, Gedankenlenkung und ausgenutzte Idealisten.

Die Adaption von Szenaristin Sybille Titeux de la Croix geht dabei einen ganz eigenen Weg der engen Werktreue: anders als die ebenfalls durchaus gelungene Fassung von Jean-Christophe Derrien, die wir bereits würdigen konnten, nutzt diese Version ausschließlich Textpassagen aus Orwells Roman, der hier weniger adaptiert als weitgehend illustriert wird. Zentrale Leitbegriffe wie das omnipräsente „War Is Peace“, „Ignorance Is Strength“ und „Freedom Is Slavery“ bleibt bewusst unübersetzt, weil diese für de la Croix zu ikonisch geworden sind und auch optisch in die massiven Gebäude der Ministerium für Krieg, Liebe und Wissenschaft eingemeißelt erscheinen. Die Gedanken Winstons Smiths werden ebenso textsicher wiedergegeben wie die Passagen aus dem Werk des angeblichen Widerstandsanführers Goldstein, das in Orwells Roman ausführlich als Buch im Buch ausgebreitet wird.

Insgesamt ist die optische Gestaltung durch Amazing Ameziane überwältigend, von beklemmenden Szenen der riesigen Regierungskomplexe, vor denen die Houses of Parliament nahezu verschwinden, über das durchgängige Elend der Behausungen bis hin zu durchaus schockierenden Darstellungen von Winstons „Verhör“ und Umerziehung – jede Seite atmet hier den zutiefst hoffnungslosen Duktus der Vorlage, in dem das kurze Glück von Winston und Julia von Anfang an unter dem Zeichen des Untergangs steht. Kein Lichtblick, keine Perspektive, dafür aber eine eindringliche Warnung, die Augen immer offen zu halten, damit die Uhren nicht wirklich irgendwann 13 schlagen wie in Winstons London. Bei Splitter erscheint der Band standesgemäß hochwertig als Hardcover und für die digitalisierten Leser auch als eComic. (hb)

1984
Text: Sybille Titeux de la Croix, nach George Orwell
Bilder: Amazing Ameziane
232 Seiten in Schwarz-Weiß & Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
29,80 Euro

ISBN: 978-3-96219-102-3

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