Nur wieder das Ende der Welt (Dantes Verlag)

Juni 18, 2021
Nur wieder das Ende der Welt (Dantes Verlag)

Lawrence Talbot ist Sachbearbeiter. Welche Sachen er bearbeitet und ob überhaupt, bleibt sein Geheimnis. Fest steht, dass er den örtlichen Pub seinem schäbigen Büro in dem nicht minder heruntergekommenen Städtchen Innsmouth in Neuengland vorzieht. Talbot trägt ein Geheimnis mit sich herum: er verwandelt sich immer wieder ein in einen Werwolf, wacht danach irgendwo und irgendwie auf, ohne so recht zu wissen, was ihm als Werwolf wiederfuhr. Kontakt zu seinen Mitbürgern ist rar gesät. Dafür sind die Begegnungen umso seltsamer: Der Barkeeper des Pubs redet von Werwölfen, als wisse er Bescheid. In seinem Büro trifft Talbot auf einen alten Mann, der über das Ende der Welt orakelt. Und auch über der Begegnung mit der Wahrsagerin Madame Ezekiel scheint eine Aura des Unheilvollen zu schweben. Als der Barkeeper Talbot zu einem Feuer auf den Klippen begleitet, schwant dem, was man gegen ihm im Schilde führt …

Er tut es schon wieder. Bereits in „Eine Studie in Smaragdgrün“ bezog sich Neil Gaiman ganz massiv auf die Werke Lovecrafts und vermengte diese mit Charakteren, Motiven und der Ära aus Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes (siehe Titel des Bandes). Auch in „Nur wieder das Ende der Welt“, noch einige Jahre früher entstanden, präsentiert er eine Kreuzung aus zwei Fantasy/Horror-Mythen: natürlich wieder Lovecraft, dazu gesellt sich diesmal aber der Werwolf-Mythos, wobei sich Gaiman mit dem Namen seines Protagonisten direkt auf den Universal-Klassiker „The Wolf Man“ von 1941 bezieht. Auf der Lovecraft’schen Seite dienen Gaiman als direkte Inspiration natürlich „Schatten über Innsmouth“, sowie der Roman „A Night in the Lonesome October“ (dt. „Der Clan der Magier“) des Fantasy und Science Fiction Autors Roger Zelazny, der darin seinerseits auf Lovecraft und die „Großen Alten“ (also Cthulhu und seine Kumpels) verweist.

Dabei stapft die Hauptfigur Lawrence Talbot wie ein Schlafwandler durch die Story. Er nimmt stoisch das mysteriöse wie kuriose Gerede oder das Rezitieren von Gedichten („The Kraken“ von Alfred Tennyson – alles bezieht sich eben auf Lovecraft…) zur Kenntnis, ohne sich über die diversen Anspielungen darin zu wundern. Auch nach seiner Rückverwandlung macht er sich über die offenbar in Werwolf-Gestalt begangenen Grausamkeiten keine großen Gedanken – dass er Hundepfoten und Kinderfinger erbricht, wertet er nicht weiter. Und was sein eigentlicher Job ist bleibt ebenfalls ein Rätsel. So legt er eine lakonisch abwartende, gelassene Egal-Grundhaltung an den Tag, auf die letztlich auch der Titel des Bandes anspielt: Talbot lässt mit sich machen. Erstmal schauen. Wird schon alles gut gehen. Und schließlich hat er ja noch ganz Bruce Banner mäßig einen nicht zu unterschätzenden Trumpf in der Hinterhand in Gestalt seines Alter Egos,

Neil Gaiman, sein Adapteur Peter Craig Russell, der sich hier lediglich auf das Erzählen beschränkt und mit dem Gaiman aktuell bei Dark Horse an der Comicfassung seines Romans „Norse Mythology“ (demnächst auch bei Splitter) arbeitet, erzeugen gemeinsam mit dem Zeichner Troy Nixey („Batman: Schatten über Gotham“) düstere Bilder in blassen Farben. Nichts ist schön an Innsmouth, nirgendwo – und selbst in den Töpfen der Vermieterin kocht unappetitliches Zeug. Die kühlen, fahlen Farben von Kolorist Matt Hollingsworth unterstreichen die bedrohliche, düstere, trostlose Stimmung. Selbst das Feuer lodert kalt. Erst am Schluss, nach dem dramatisch traumhaften Finale hellen sich die Farben auf, werden freundlicher und natürlicher. Und der Himmel klart auf. Nixeys Charaktere sind stilisiert und schräg gezeichnet, eine beabsichtigte Hässlichkeit – ein Verweis auf Peter Lorre ist durchaus treffend. Die Räume sind eng und ungemütlich, fast expressionistisch gestaltet. Und am Ende steht symbolisch eine Wiedergeburt und damit vielleicht ein Neuanfang.

Ein kleines Skizzenbuch, in dem einige Storyboard-Entwürfe Russells den fertigen Zeichnungen Nixeys gegenüber gestellt werden, dient als interessante Dreingabe. Und am Ende des Bandes stellt Übersetzer Jens R. Nielsen – wie bereits in „Mögliche Geschichten“ und „Eine Studie in Smaragdgrün“ das bewährte und höchst informative weil penibel recherchierte Glossar zusammen, das auch einmal mehr beweist, wie intensiv sich Gaiman mit den beiden Fantasy/Horror-Mythen, die den Band beherrschen, auseinandersetzte. Unter dem Siegel „Die Neil Gaiman Bibliothek“ erschienen bereits vor einigen Jahren bei Panini diverse Bände. Jetzt setzt der Dantes Verlag diese lose Reihe fort – im Juli folgt bereits der bereits der nächste Band („Das Susan-Problem und andere Geschichten“, wieder mit P. Craig Russell). Und kurioserweise erscheint bei Splitter gerade „Snow, Glass, Apples“, ebenfalls unter der Flagge der Neil Gaiman Library – dazu in Kürze mehr. (bw)

Nur wieder das Ende der Welt
Text: Neil Gaiman, P. Craig Russell
Bilder: Troy Nixey, Matthew Holligsworth (Farben)
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Dantes Verlag
17 Euro

ISBN: 978-3-946952-65-7

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