Undiscovered Country, Band 1 (Cross Cult)

Juni 9, 2021

Amerika. Die Vereinigten Staaten. Land der Träume, Land der Freiheit. Von wegen. Denn vor 30 Jahren war damit Schluss. Die USA vollzogen einen einzigartigen politischen Schritt und schotteten sich von der Außenwelt ab. Komplett. Keine Einreise. Keine Ausreise. Kein Warenverkehr. Keine Verbindung. Seit dieser denkwürdigen Aktion im Juli 2029 weiß niemand mehr außerhalb des Landes, was dort vorgeht. Wie die Menschen leben. Wer dort regiert. Nichts dringt nach außen in eine Welt, wo ein fürchterliches Virus namens Sky gnadenlos wütet. Der Zusammenbruch der Gesellschaft ist nur noch eine Frage der Zeit. Umso überraschender erscheint da eine Nachricht, die tatsächlich von einem Wissenschaftler aus Colorado stammt: man habe ein Heilmittel gegen Sky gefunden und möchte nun auf amerikanischem Boden über eine Freigabe verhandeln. Dazu schicken die beiden politischen Blöcke/Imperien, die Euro-Afrikanische Allianz und die Panasiatische Prosperitätszone, eine gemeinsame Abordnung in die Staaten. Der Überflug der Grenze verläuft nach Plan, doch dann wird der Hubschrauber im Landesinneren abgeschossen…

Die Prämisse ist hoch originell. Und gleichzeitig riskant. Eine einstige Weltmacht schließt ihre Pforten. Beinahe von heute auf morgen, wie uns die Zeitlinie am Ende des Bandes verrät. Gigantische Verteidigungsanlagen umgeben das Land, nichts dringt nach außen, nichts nach drinnen. Und die „übrige“ Welt versinkt nach und nach im Chaos. Die beiden Imperien sind sich alles andere als grün und das Sky-Virus scheint der Welt unaufhaltsam den Rest zu geben. Natürlich nimmt man in dieser verzweifelten Lage das alles andere als vertrauenswürdige Angebot an, das da plötzlich Licht am Horizont verspricht. All das wird schlüssig erklärt. Dann die „Reisegruppe“. Die besteht aus sieben Personen: der Pilot, ein ehemaliger Kriegsheld; eine Journalistin; ein Amerika-Forscher; zwei Abgesandte aus dem jeweiligen Imperium und ein Geschwisterpaar mit familiären Wurzeln in den USA: Dr. Charlotte Graves, Epidemiologin und ihr Bruder Major Daniel Graves, ein Söldner mit zwielichtigem Ruf und dunkler Vergangenheit. Alle überleben den Abschuss und allen wird auch bald klar, dass sie von ihrem Ziel, das Heilmittel zu ergattern, nicht weiter entfernt sein könnten.

Hier gebietet es sich nun, Spoiler zu vermeiden. Nur so viel muss sein: das unentdeckte Land, das einst die USA waren, entpuppt sich im Gegensatz zum gleichnamigen Star Trek Film, wo man auf eine rosige Zukunft baute, als bisweilen pervertierte Version (Stichwort Uncle Sam) seiner selbst, mit höchst verschiedenen, völlig abgedrehten „Interessengruppen“, die offenbar autonom voneinander in Territorien existieren, welche sich spiralförmig quer über das Land ausbreiten. Wobei hier die Autoren Scott Snyder (u.a. American Vampire, Batman Metal, Wytches) und Charles Soule (u.a. Der Tod von Wolverine, Star Wars) zumindest zu Beginn eine wilde Mischung aus Mad Max und den Experimenten eines Dr. Moreau kredenzen. Aber es gibt noch mehr Überraschungen, sowohl was die Gruppe betrifft, die natürlich bei weitem nicht so homogen ist, wie sie sein sollte, als auch die wieder einmal Neue Welt. Zwischendurch beleuchten diverse Rückblicke immer wieder einzelne Charaktere, wobei man sich zu Recht wundert, welch kuriose Truppe hier für so eine wichtige Aktion zusammengetrommelt wurde.

Der Band, der die ersten sechs US-Hefte der dort bei Image Comics erscheinenden Reihe zusammenfasst (dort erschien kürzlich der zweite Sammelband), ist zeichnerisch weit weniger düster angelegt, als es das Sujet vermuten lässt. Im Gegenteil präsentieren sich die Seiten regelrecht farbenfroh, was an der kräftigen Kolorierung von Matt Wilson liegt, der 2017 den Eisner Award als bester Kolorist abstaubte. Die Zeichnungen, einerseits realistisch, andererseits die wilden futuristischen Fantasien und Ideen der Autoren gekonnt umsetzend, stammen von einem alten Bekannten, dem Italiener Giuseppe Camuncoli, der schon Spider-Man für Marvel zeichnete und der bereits vor etlichen Jahren hierzulande auf diversen Festivals bei Panini signieren durfte. Fazit: ein unterhaltsamer, kurzweiliger Auftakt, der eine gewagte Idee treffend und dabei leicht in das Pulp-Genre übergreifend umsetzt. Mit vielen Überraschungen, Wendungen. Und – ganz modern und aktuell – mit einem vermaledeiten Virus… (bw)

Undiscovered Country, Band 1: Schicksal
Text: Scott Snyder, Charles Soule
Bilder: Giuseppe Camuncoli, Daniele Orlandini,
Leonardo Marcello Grassi, Matt Wilson (Farben)
176 Seiten in Farbe, Hardcover
Cross Cult
22 Euro

ISBN: 978-3-96658-433-3

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