
Manchmal braucht es Helden, auch wenn sie schon längst in Rente sind. Aber greifen wir nicht vor. New York ist seit 30 Jahren „sauber“. Seitdem sind keine „Maskierten“ mehr in und über den Häuserschluchten der Metropole unterwegs. Um die Stadt nun endgültig und für immer sicher zu machen, wollen Bürgermeister Waters und seine rechte Hand Edward Saks nun WEBB aktivieren – einen Schutzschirm, der die Stadt abriegelt und so vor üblen Gesellen aller Art schützen soll. Waters regiert autoritär, seine Reign-Soldaten patrouillieren in den Straßen und gehen brutal gegen Andersdenkende vor, auch wenn es Kinder oder Alte sind. Einer davon ist ein Blumenverkäufer ohne Job, der alleine und einsam lebt. Ein Senior namens Peter Parker. Der wird eines Tages von einem alten, nicht gerade willkommenen Bekannten aufgesucht, der einst sein Chef war und eine Zeitung leitete…
So beginnt ein Alternativ-Welt oder „What if…?“ Abenteuer mit unserem liebsten Wandkrabbler, das sein Vorbild ganz bewusst nicht leugnet (ein Reporter heißt Miller Janson): 1986 setzten Frank Miller und Klaus Janson Maßstäbe mit ihrem „The Dark Knight Returns“, in dem ein gealterter Bruce Wayne noch einmal den Batman gibt. Auch hier ist die Prämisse ähnlich. Maskierte sind verboten. Spider-Man ist weg, lebt unerkannt in einer kleinen schäbigen Wohnung. MJ lebt nicht mehr. An ihrem Krebstod gibt Peter sich die Schuld. Jetzt muss er aber noch einmal ran, wird bei seinem „Berufsethos“ gepackt, als die Stadt unter dem autoritären Bürgermeister völlig vereinnahmt wird. So wird Peter Parker vom alten, gebrochenen Mann noch einmal zum Helden, durch eine Initialzündung, die ausgerechnet von Jonah Jameson ausgelöst wird, seinem ehemaligen Chef, der mit seinem Daily Bugle einst eine nimmermüde Hatz auf Spider-Man veranstaltete.

Kaare Andrews, der kanadische Autor und Zeichner des Bandes, präsentiert trotz der offensichtlichen Hommage-Elemente (Kinder spielen wichtige Rollen, TV-Sendungen treiben die Story voran) eine eigenständige Marvel-Version des berühmten DC-Klassikers. Er zeigt gealterte Marvel-Charaktere in Kurzauftritten, in alten und neuen Rollen, v.a. natürlich Schurken. Jameson erhält dabei eine Schlüsselrolle als furchtloser Revoluzzer, der trotz aller Gefahren nicht müde wird, seine Stimme zu erheben. Originell, aber auch gruselig, die Rolle von Mary Jane – längst verstorben, aber dennoch wichtig für die Story. Am faszinierendsten ist jedoch die Version von Doc Ock (ups, kleiner Spoiler!), die gerne mehr „Screentime“ verdient gehabt hätte.
Andrews inszeniert seine Superhelden-Dystopie in einem eigenwilligen Stil, der manchmal tatsächlich an den von Frank Miller zu „Dark Knight“ Zeiten erinnert. Hakelig, manchmal nur wenige Striche, manchmal düster, dann doch wieder in kräftigen Farben (die stammen meist von José Villarrubia, der gerade Werke von Richard Corben neu koloriert bzw. farblich restauriert), mit zeichnerischen Finessen, wie originellen Panelfolgen oder Seiten ganz ohne Panelränder. Der Kanadier, der inzwischen auch als Film- und Serien-Regisseur reüssiert, schuf seinen Vierteiler, der hier in einem Band gesammelt vorliegt, bereits 2006 – schon ein Jahr später erschien die Story erstmals bei uns als Band 31 der Reihe „100% Marvel“. Und: jetzt gibt es eine Fortsetzung, wieder von Kaare Andrews. Grund genug also, auch den ersten Teil neu aufzulegen. Zu Reign II folgt in Kürze mehr. (bw)
Spider-Man: Reign – Das Regime, Band 1
Text & Story: Kaare Andrews
Bilder: Kaare Andrews, José Villarrubia (Farben)
160 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
20 Euro
ISBN: 978-3-7416-4129-9