Das vergessene Land (Splitter)

Januar 21, 2025
Das vergessene Land (Splitter Verlag), nach Edgar Rice Burroughs

Reisen sind gefährlich, vor allem zu Kriegszeiten: das erfährt auch der Ingenieur Bowen Tyler, der 1916 auf einem Passagierschiff ins Periskop eines deutschen U-Boots gerät, das den vermeintlichen Gegner kurzerhand versenkt. Gemeinsam mit einer Dame namens Lys überlebt Tyler den Angriff nicht nur, sondern überrumpelt mit Hilfe eines herbeieilenden zweiten Schiffs die Besatzung des deutschen U-Boots – das er wie seine Westentasche kennt, da (Ironie des Schicksals) dieses Modell aus der Werft seines Vaters stammt. Die ungleiche Schicksalsgemeinschaft aus britischen und deutschen Seeleuten geht auf Irrfahrt und erreicht alsbald eine enorme, von Eisbergen umrahmte Steilküste.

Auf alten Karten findet man Hinweise darauf, dass man jenen Kontinent vor sich hat, den der italienische Forscher Caproni entdeckt haben will und sinnhaft Caprona nannte. Nachdem die Vorräte an Bord zur Neige gehen, setzt man alles auf eine Karte und gelangt per Tauchfahrt durch einen Felsöffnung unter Wasser tatsächlich ins Innere des vergessenen Kontinents. Dort staunen Bowen und seine Gefährten nicht schlecht: hinter der gewaltigen Felswand hat sich in einem abgeschlossenen Biotop die Urwelt komplett erhalten, inklusive Dinosauriern zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Man wehrt eine Attacke von affenartigen Urmenschen ab, nimmt den Anführer der Urwesen gefangen und beginnt, sich zu verständigen.

Die Harmonie findet ein Ende, als Lys eines Nachts von weiteren Urmenschen entführt wird: Bowen gelingt es zwar, sie zu retten, nach der Rückkehr zum Lager muss er aber feststellen, dass die deutschen Kriegsgefangenen eine Revolte angezettelt und sich nebst U-Boot aus dem Staub gemacht haben. Ohne jede Hoffnung, Caprona jemals wieder verlassen zu können, schreibt Bowen seine Erlebnisse nieder und schickt sie per Flaschenpost auf die Reise – und tatsächlich findet man auf Grönland seine Botschaft, die den Weg in sein Elternhaus findet. Der mit dem Nachlass der verstorbenen Tyler Senior betraute Tom Billings lässt sich nicht davon abbringen, eine Rettungsexpedition zu starten und erreicht nach Wochen Caprona per Wasserflugzeug…

Mit „The Land That Time Forgot” lieferte Edgar Rice Burroughs 1917 das neben “The Lost World” von Arthur Conan Doyle sicherlich bekannteste Beispiel des Pulp-Motivs einer Urzeitwelt, die sich in einem versteckten Winkel der Erde erhalten hat und von modernen Forschern erobert wird. Burroughs, der sich 1911 mit dem John Carter-Abenteuer „A Princess of Mars“ und 1912 mit den ersten Tarzan-Stories seine ersten literarischen Sporen verdient hatte, setzte dabei auf ein bewährtes Muster: ein westlicher, bevorzugt amerikanischer oder englischer, Abenteurer gerät in eine exotische Welt (was bei John Carter der Mars, das ist bei Tarzan – bekanntlich der englische Adlige Lord Greystoke – ein frei erfundenes Afrika), muss sich gegen Kroppzeug und Feinde aus den eigenen Reihen erwehren, verliebt sich in eine hübsche Dame (wahlweise ebenfalls Forscherin oder Ureinwohnerin) und bringt die Werte der alten Welt in die Wüstenei.

So fand sich das in Variation nicht nur 1914 schon in Burroughs eigener Romanreihe „At the Earth’s Core“, wo Forscher im Hohlerde-Land Pellucidar allerlei Kreaturen antreffen (an alle Verschwörungsmeister: das ist PULP FICTION, nicht die Realität!!), sondern auch bei einem illustren Kollegen: was bei Conan Doyles Professor Challenger das unzugängliche Hochplateau in Südamerika, das ist bei Burroughs ein lange erloschener Vulkan, der weiterhin für Wärme sorgt. Gewürzt wird das Geschehen mit klar antideutscher Tendenz, die Burroughs nationalistischer Überzeugung geschuldet ist: die deutschen erscheinen als Barbaren, die ohne zu zögern ein ziviles Schiff versenken (was in der Tat kurz zuvor mit der Zerstörung des Passagierschiffs Lusitania geschehen war) und auch sonst den Ehrenkodex gerne mal missachten.

Spannend erscheint vor allem der Kunstgriff, dass auf Caprona menschliche Wesen in verschiedenen Entwicklungsstadien existieren, von sprachfähigen Alus bis hin zu mehr oder weniger menschenähnlichen Galus: die Evolution über Affenmenschen über Cro Magnon bis hin zum Neanderthaler wird hier quasi im Brennglas gleichzeitig vorgeführt, was durchaus populären zeitgenössischen Theorien der Anthropologie entnommen sein dürfte. Burroughs, der seine Romane niemals als hohe Literatur, sondern als reine Unterhaltung sah, konzipierte die Caprona/Caspak-Saga von Anfang an auf drei Teile, in denen jeweils ein anderer Protagonist agiert und die ab August 1918 im Pulp Magazin Blue Book erschienen, bevor dann 1924 die erste Gesamtausgabe herauskam. 1974 versuchte sich das auch Kino – allerdings recht erfolglos – an einer Umsetzung (die Leinwand-Fassung von Kevin Connor zeichnet sich vor allem durch hölzerne Darstellung und ungelenke Plastiksaurier aus), was der Popularität des Romans allerdings keinen Abbruch tun konnte.

Im Gefolge erschien 1975 eine erste Comic-Fassung, gefolgt von einem eher bizarren Crossover „Zorro in the Land that time forgot“ (kein Scherz) und weiteren diversen Umsetzungen. Vielschreiber Éric Corbeyran bringt nun in seiner Variante die beiden weitgehend in sich abgeschlossenen ersten Storybögen um den Entdecker Bowen und den Verwalter Billings, der sich auf seine Spuren begibt, und nutzt dabei die wirksamen Pulp-Elemente (exotische Settings, atemlose Handlungssprünge, Action auf jeder Seite) und schmiedet daraus ein flottes, unterhaltsames Lesevergnügen. Die Umsetzung durch Gabor (dahinter verbirgt sich der Spanier Gabriel Lopez) gefällt dabei im klassischen Abenteuer-Duktus, in dem die prähistorische Welt eindrucksvoll zum Leben erweckt wird. Die vorliegende Ausgabe bringt als Splitter Double beide Bände in einem Aufwasch. Sehr schön!  (hb)

Das vergessene Land
Text & Story: Éric Corbeyran, nach Edgar Rice Burroughs
Bilder: Gabor
120 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
25 Euro

ISBN: 978-3-98721-417-2

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