Geburtstag feiern war auch schon mal witziger. Da will man oder besser gesagt frau sich einfach nur auf einem Planeten mit roter Sonne ordentlich volllaufen lassen. Und schon kommt man mitten hinein in die schönste Kneipenschlägerei, weil irgendein Vollhorst Ärger mit dem Cousin und Obergutmensch Kal-El hat. Dementsprechend mömpfig ist die gute Kara Zor-El, als sie auf dem Weg zu ihrem Raumschiff auch noch von der jungen Ruthye angesprochen wird. Deren Vater wurde von einem Lumpensohn namens Krem von den gelben Bergen umgebracht, aber Kara möchte einfach nur ihre Ruhe haben – bis dann der Schurke selbst nicht nur ihren geliebten Hund Krypto umbringt, sondern auch noch mit dem auf Autopilot programmierten Schiff das Weite sucht.
Eher widerwillig macht sich Supergirl gemeinsam mit Ruthye daran, den Missetäter zu verfolgen – wobei sie nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte ist, bis sie aus der Sphäre der roten Sonne herauskommt. So bucht man sich eine Passage auf einer rammligen Raumfähre, wo Supergirl dank roter Kryptonittablette einen Raumdrachen in die Flucht schlägt und sich auch sonst mit allerlei Anfeindungen konfrontiert sieht – irgendwie scheint sich diverses Kroppzeug in den Kopf gesetzt zu haben, Rache an ihr zu üben anstelle sich Superman selbst zu stellen, der immer so humorlos ist. Irgendwann erreicht das ungleiche Duo dann doch den Ausgangspunkt der Reise, wo in der Hauptstadt Maypole seltsame Dinge vor sich gehen. Die einstmals in Frieden mit der Bevölkerung der „Blauen“ zusammenlebenden „Violetten“ scheinen spurlos verschwunden. Vor den Toren der Stadt finden Supergirl und Ruthye die grauenvolle Wahrheit: als die intergalaktischen Marodeure namens Barbonds Briganten einfielen, opferten die Herrscher kurzerhand die ganze Rasse der Violetten, um selbst ungeschoren davon zu kommen.
Krem, kurzzeitig in Haft in Maypole, passt der Daseinszweck der Briganten – Mord und Totschlag um ihrer selbst willen – bestens, weshalb er sich der Bande anschließt und eine Spur des Grauens und immer brutalerer Massenmorde durchs Universum zieht. Supergirl und Ruthye sind ihm dabei immer auf den Fersen, aber Krem schreckt auch vor Magie nicht zurück und verfrachtet seine Verfolgerinnen auf den Planeten Barenton, eine Kunstwelt, die mit grüner Kryptonitsonne und feindlicher Umgebung nur zu dem Zweck geschaffen wurde, Superman zu töten – und auch für Kara zum Verhängnis zu werden droht…
Mit dieser abgeschlossenen Miniserie nutzt Tom King (u.a. Mister Miracle, Rorschach, Strange Adventures) die Freiheiten, die das Infinite Frontier-Label im DC-Universum eröffnet: jenseits aller Kontinuität präsentiert er eine erfrischende wie komplexe Charakterstudie, in der sich Kara als weit mehr als nur weibliches Pendant ihres berühmten Cousins entpuppt. Erzählt wird die Geschichte in den Worten von Ruthye, die permanent Dinge andeutet, vorgreift und den Leser anspricht – die vierte Wand wird also genauso genüsslich missachtet wie beim Meister dieses Kunstgriffs Deadpool. Inhaltlich geht es um nichts weniger als Rache, Schuld und Sühne: Ruthye hat die Vernichtung des Mörders ihres Vaters zu ihrem Lebenszweck gemacht und fragt auch Supergirl, ob sie selbst denn nie Rache für ihre Familie nehmen wollte, die mit Krypton unterging. Fast schon überrascht ist sie, als Kara dies zwar verneint, aber durchaus Bedauern durchklingt.
Die Paarung des jungen Mädchens, das nach Rache dürstet, und des Haudegens, der ihr hilft, präsentiert dabei eine wunderbare Fantasy-Variante des Western-Klassikers „True Grit“. Supergirl selbst glänzt als leicht zynische junge Frau, die von den Geistern der Vergangenheit zwar heimgesucht, aber nicht beherrscht wird – und der es tierisch auf den Zeiger geht, dass die ganze Welt vor ihrem großen Cousin erzittert. Die Episode auf der Kunstwelt Barenton (die Curt Swan schon in Superman #155 aus dem Jahr 1962 ersann) nutzt King zu einer famosen Abrechnung: Kal-El habe ganze 45 Minuten durchgehalten, bevor er von der Justice League gerettet wurde – da wäre es doch gelacht, wenn Kara nicht die 10 Stunden bis Sonnenuntergang übersteht (was ihr in einer beispiellosen Willensanstrengung auch gelingt). Auch sonst greift King tief in den Fundus der Heldin – neben Superhund Krypto darf auch Supergirls Pferd Comet einen eindrucksvollen Auftritt hinlegen, und der Untergang Kryptons wird eindringlich apokalyptisch berichtet.
Mindestens ebenso beeindruckend allerdings ist die zeichnerische Gestaltung von Bilquis Evely (u.a. Wonder Woman), die zwischen Stilisierung und epischen Panels changiert und immer wieder überraschende „Kameraeinstellungen“ erzeugt, etwa als wir erst spät erkennen, dass Supergirl den riesigen Fuß einer Echse nach oben stemmt. Durchgängig regieren Van Gogh-artige Pastellfarben, wobei vor allem die Episode auf Barenton von verschiedenen, die untergehende Sonne spiegelnden Grüntönen dominiert wird. Somit inhaltlich und optisch ein absoluter Leckerbissen! Der vorliegende Band enthält die US-Hefte „Supergirl: Woman of Tomorrow“ 1-8 (ein Titel, der natürlich seinerseits auf die Curt Swan-Ära mit dem „Man of Tomorrow“ anspielt), die im Original in den USA ab August 2021 erschienen. (hb)
Supergirl – Die Frau von morgen
Text: Tom King
Bilder: Bilquis Evely
220 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
25 Euro
ISBN: 978-3-7416-2997-6