„Alte Geschichten“: Caroline staunt nicht schlecht, als sie einen Brief an ihren Großvater zugestellt bekommt. Dort enthüllt eine gewisse Roseline Trembleur, dass sie offenbar mit dem Herrn Opa verbandelt war und sich vor einem alten Skandal in das Inuit-Dorf Ivulvik gerettet hat, woraufhin sich Caroline schnurstracks in den hohen Norden begibt. Nach einer abenteuerlichen Busfahrt trifft Caroline tatsächlich Roseline, die ihr eröffnet, dass das Dorf derartig vom Klimawandel und dem in Folge steigenden Meeresspiegel bedroht ist, dass es vollständig abgerissen werden soll. Die Bevölkerung ist hiervon naturgemäß wenig begeistert, und bald bemerkt Caroline diverse Ungereimtheiten: des Nachts versammeln sich Dorfbewohner in der Schule und machen sich dort am aufweichenden Boden zu schaffen. Als Caroline mit der ganzen Wahrheit konfrontiert wird, muss sie eine Entscheidung treffen: geht Moral und Gerechtigkeit über das Gesetz?
„Free Tibet“: In New York trifft Caroline ihre alte Freundin Roxane, die als Aktivistin anlässlich der olympischen Spiele in China ein Zeichen für ein freies Tibet setzen will: eine von ihr angeführte Truppe will auf dem Mount Everest die tibetanische Flagge hissen, sobald das olympische Feuer vorübergetragen wird. Das kann natürlich nur schiefgehen, weshalb einige Tage später die CIA Kontakt zu Caroline aufnimmt, die die Route kennt – in der Truppe scheint ein Saboteur zu sein, der einen Anschlag verüben möchte. Gemeinsam mit dem CIA-Agent Max macht sich Caroline auf nach Tibet und folgt der Spur von Roxane, bis es auf den eisigen Gipfeln des Dachs der Welt zum folgenschweren Showdown kommt…
„Schatten der Eule“: der Chef der Kristal Corporation, die Caroline seit ihrem „Moon River“-Abenteuer bestens kennt, wird ermordet aufgefunden, in der Hand einen Zettel mit der Aufschrift „conspiracy“. In Genf läuft der FBI-Agent Gary Scott, mit dem Caroline ein Techtelmechtel unterhält, mit seiner Partnerin beim Ermitteln gegen ein Komplott in eine tödliche Falle, die er nur dank es Eingreifens der früheren CIA-Agentin Julia Peterson, die mittlerweile für eine private Miliz arbeitet, überlebt – was man von seiner Partnerin nicht behaupten kann. Zurück in New York fordert eine Sekte alle unheilbar Kranken dazu auf, Präsidentin Preston zu ermorden – und die Spur scheint geschickt ins gemeinsame Apartment von Caroline und Gary zu führen. Das findet Gary allerdings nur noch verwaist vor: eine gewisse Audrey Scott hat sich bei Caroline gemeldet, sich als Garys Ehefrau ausgegeben und Caroline so zur ihr gelockt. Beim Treffpunkt wird Caroline überfallen und niedergestreckt, aber ein mysteriöser Retter eilt ihr zu Hilfe und hinterlässt einen markierten Dollarscheint mit der Aufschrift „Beware the Bohemian“. Das bleibt reichlich mysteriös, zumal Caroline als vermeintliche Attentäterin von CIA und FBI gesucht wird…
„Die Bohemian Verschwörung“: Nach und nach enthüllt sich, dass die geheimnisvolle Bohemian-Vereinigung hinter der Verschwörung steckt, ein Geheimbund vornehmlich rechter Politiker und einflussreicher Industriekapitäne, die im Hintergrund die Fäden ziehen und ihr Süppchen kochen, um eine neue Weltordnung herbeizuführen. Man trifft sich regelmäßig in Kalifornien im Wald vor einer riesigen Eule, wohin sich auch FBI-Chef Philips und Gary aufmachen, der glaubhaft versichern kann, dass Audrey längst tot ist und die Kontaktaufnahme wohl ein Täuschungsmanöver gewesen sein muss. Die gesuchte Caroline taucht gleichzeitig in Quebec unter, als sich die ganze Tragweite herausstellt: die Bohemians wollen nichts weniger als US-Präsidentin Preston und ihren chinesischen Amtskollegen ermorden, um aus dem folgenden Chaos Kapital zu schlagen…
Die hier versammelten Geschichten entstanden in einer Zeit, als die gute Caroline in eher schweres Fahrwasser geriet. Der Verlag Casterman legte sein Augenmerk zunehmend auf die erfolgreichen Mangas, während André Taymans mit einem Augenleiden kämpfte, das die Arbeit an „Alte Geschichten“ erheblich verzögerte. Außerdem fand Taymans durch seine Beiträge zum erfolgreichen Neustart der Agentenstories um den alten Recken L. Frank kaum noch Zeit für seine Heldin – die Frank-Alben „Der Herr des Atoms“ und „London in Gefahr“ ließen Casterman nach mehr verlangen. Ein Herzensprojekt von Taymans – eine Story im Libanon – wurde vom Verlag gecancelt, und zu allem Überfluss kam mit dem neuen Lektor Leclerc erheblicher Sand ins Getriebe. Leclerc hatte gänzlich andere Vorstellungen von der Serie und wollte weg von Taymans‘ psychologisch angehauchten, sehr menschlichen Geschichten hin zu straighter Action, was Taymans dann eher widerwillig in dem arg konstruierten Agentenzweiteiler um die Bohemians versuchte auszuführen – mit einem Ergebnis, das ein bisschen James Bond, Alfred Hitchcock und viel krude Verschwörungstheorie vermengt, aber mit dem eigentlichen Charakter der Serie wenig zu tun hat.
Neuen Mut fasste Taymans 2012, als ein Filmprojekt über Caroline sehr konkrete Züge annahm. Mit fertigem Drehbuch und gecasteter Hauptrolle (man verpflichtete Carole Weyers aus „Grey’s Anatomy“) begannen die Dreharbeiten, aber bald stellte Taymans fest, dass man sein Drehbuch ohne Rücksprache komplett geändert hatte. Das brachte das Fass zum Überlaufen, Taymans brach endgültig mit Casterman und erging sich in den Folgejahren in einem Rechtestreit, der erst 2016 beigelegt wurde, woraufhin Caroline Baldwin bei Paquet eine neue Heimat fand. So sind die hier vorliegenden vier Bände gewissermaßen Übergangsarbeiten, optisch immer noch beeindruckend (trotz der in den beiden letzten Bänden vom Verlag geänderten Layouts und Kolorierungen), aber inhaltlich nicht mehr so dicht und komplex wie die vorigen Geschichten.
Umso besser, dass André Taymans mittlerweile gut aufgehoben ist, die Serie weitergeführt wird (so etwa bildete das nicht verwendete Filmskript die Basis von Band 17, „Narco Tango“) und wir die weiteren Abenteuer von Caroline sehr gerne verfolgen (Die Episoden 17-19, sowie ein Spezial-Album erscheinen im Verlag als Einzelbände). Der vorliegende letzte Sammelband mit den Episoden 13-16 bringt die erste Phase der Serie damit zu einem von Schreiber & Leser wieder sehr schön aufgemachten, mit reichem Quellenteil versehenen Abschluss, der zusammen mit den ersten drei Ausgaben dank eines hübschen Rückenbildes von Caroline auf einer Couch auch im Regal einen schmucken Eindruck macht. (hb)
Caroline Baldwin, Sammelband 4
Text & Bilder: André Taymans
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Verlag Schreiber & Leser
39,80 Euro
ISBN: 978-3-96582-085-2
