„Humbug!“ Mehr hat der alte Geizkragen Scrooge zum Weihnachtsfeste nicht zu sagen. „Das Fest der Dummköpfe und Taugenichtse“ ist das für ihn – die ganze Singerei, Spendenbitten und sentimentalen Feierlichkeiten stören doch nur beim Jahresabschluss. Die Einladung seines Neffen Fred zum Essen schlägt er brüsk aus, und sein Angestellter Bob Cratchit darf sich Schmähungen dafür anhören, dass er am Weihnachtstag frei hat. Als der alte Miesepeter in seiner einsamen Kammer zu Bett gehen will, wird er allerdings gehörig zur Ordnung gerufen: der Geist seines alten Kompagnons Marley erscheint ihm, der zu Lebzeiten in der Disziplin der Pfennigfuchserei keinen Deut weniger akkurat als Scrooge war.
Noch habe er die Chance, einen anderen Weg zu beschreiten, so erklärt Marley dem entsetzten Scrooge und geht mit seinem alten Partner gemeinsam auf eine geisterhafte Reise. In der Vergangenheit erlebt Scrooge nochmals Szenen seiner Kindheit, die von Einsamkeit und Isolation geprägt war, von einer vergebenen Chance auf Liebesglück und Rücksichtslosigkeit. In der Gegenwart durchschwebt Scrooge die fröhliche Feier seines Neffen und besucht auch Bob Cratchit, der sich auch von der lebensbedrohlichen Erkrankung seines Sohnes Tiny Tim nicht entmutigen lässt und Scrooge sogar einen Toast ausbringt. Immer mehr wandelt sich Scrooge und erkennt seine Hartherzigkeit, bis er schließlich in einer finsteren Zukunftsvision mit seinem eigenen Tod konfrontiert wird, um den sich kein Mensch mehr schert…
Charles Dickens‘ „A Christmal Carol“ um die Ein- und Umkehr des sprichwörtlichen Geizkragens Scrooge (bekanntlich im Original Namensgeber eines gewissen Onkel Dagobert aus Entenhausen) gehört zu Recht zu den bekanntesten, beliebtesten und medial am häufigsten umgesetzten Weihnachtsgeschichten der Welt (die sich auch famos zum Vorlesen eignen, dies sei allen ans Herz gelegt). Neben zahlreichen Filmfassungen (von wohligen Schwarz-Weiß-Varianten über die Muppets bis hin zum anarchischen Kino-Klaumauk „Scrooged“ mit Bill Murray aus den 80ern) kredenzten uns auch die seligen Illustrierten Klassiker schon eine Version. In der hier vorliegenden Fassung der klassischen Erzählung greift sich Rodolphe (u.a. „TER“, „Namibia“) die zentralen Wendepunkte der Handlung heraus: wir erleben Scrooge als Sauertopf im Kontor, der das Weihnachten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft erlebt und damit seine Irrwege erkennt.
Schlüsselszenen wie der verlassene jugendliche Scrooge in der Schule, die Feier im Hause Cratchit und vor allem die beklemmende Schreckvision eines einsamen Begräbnisses ohne jede Anteilnahme verfehlen ihre Wirkung auch hier nicht. Kurzerhand verzichtet Rodolphe dabei auf die drei Geister der Weihnacht, die in der Vorlage jeweils – opulent und eindrucksvoll beschrieben – für die Reise von Scrooge verantwortlich zeichnen, die hier vom alten Geschäftspartner Marley selbst geführt wird. Dies tut der Wandlung des alten Geizkragens keinen Abbruch, dessen Selbsterkenntnis auch optisch von Estelle Meyrand wunderbar inszeniert wird: Scrooge selbst durchlebt auf einer ineinanderfließenden Seite die moralische Einsicht und fordert aktiv ein, in die Zukunft schauen zu dürfen.
Die Zeichnungen wirken allesamt stilisiert, fast schon in Richtung viktorianischer Weihnachtskarten, was auch zur Einbandgestaltung ganz im Stile eines respektablen Bibliotheksexemplars passt. Bei Splitter erscheint der Band hübsch aufgemacht im Label toonfish, das Funnies bringt und sich auch gerne an die jüngere Leserschaft wendet. Dazu bleibt somit nur noch mit Meister Dickens zu sagen: merry Christmas, and God bless us, everyone! (hb)
Scrooge – Eine Weihnachtsgeschichte
Text: Rodolphe, nach Charles Dickens
Bilder: Estelle Meyrand
48 Seiten in Farbe, Hardcover
toonfish/Splitter Verlag
13,95 Euro
ISBN: 978-3-96792-731-3