Spirou und Fantasio Spezial, Band 28 (Carlsen)

Januar 28, 2020
Spirou und Fantasio Spezial, Band 28 (Carlsen Verlag)

Herbst 1940: das Leben im besetzten Brüssel wird immer schwerer. Es mangelt an allem. Um über die Runden zu kommen, hat Spirou eine zündende Idee: er gründet mit Fantasio und mit Hilfe von Felix und Felka ein fahrendes Puppentheater, das sie Wichteltheater taufen. Gleich ihr erstes Stück über den alltäglichen Hunger kommt bei Kindern gut an. Und bald haben die beiden Freunde mit Pater Philippe und dem geheimnisvollen Herrn Henri zwei Unterstützer, die in der Region regelrechte Tourneen vor Schulklassen organisieren. Dabei lernt Fantasio die Lehrerin Frau Collin kennen und verliebt sich in sie, während Spirou erfährt, dass seine Kassandra offenbar in Polen in einem Lager interniert ist. Auch in Brüssel spitzt sich die Lage der Juden immer mehr zu: ihre Radios werden konfisziert, sie erhalten weniger Lebensmittelkarten und müssen den Davidstern tragen. Erste Verhaftungen werden bekannt und gleichzeitig erste Gerüchte über tausende ermordete Juden im Osten. Felka und Felix wollen ihr Judentum verbergen und versuchen über Spirou und Fantasio an falsche Papiere heranzukommen. Dann gibt es erste Juden-Razzien und Spirou fasst einen verhängnisvollen Entschluss…

Schluss mit lustig? Im zweiten Album über die Erlebnisse von Spirou und Fantasio im Zweiten Weltkrieg wird es vor allem gegen Ende beklemmend. Zuvor erzählt Autor und Zeichner Émile Bravo seine breit angelegte Geschichte, wobei er sich wie gehabt für die einzelnen Episoden viel Zeit nimmt und Begegnungen aus dem ersten Band aufgreift. Spirou und Fantasio haben dank ihres Wichteltheaters (und ihrer Besuche beim Bauer Anselm auf dem Land) ein karges, aber erträgliches Auskommen. Ihnen schwant noch nicht, dass hinter den organisierten Terminen und Vorstellungen mehr steckt als nur Kinderbelustigung. Apropos: immer wieder stellt Bravo die wilde Rasselbande der Kinder in den Mittelpunkt, über die Spirou stets seinen schützenden Arm hält. Auch die Kleinsten, die nicht einmal wussten, dass sie Juden sind, bleiben von der Schikane der Deutschen Besatzer nicht verschont und müssen einen Judenstern tragen. Bis zum Ende schafft es Bravo, auch diese harten Episoden charmant oder lausbübisch zu inszenieren, mit unverblümtem Kindermund (für den kleinen Maurice stand offensichtlich Lucky Luke Schöpfer Morris Pate), wobei auch Fantasio mit seiner impulsiven Art immer wieder für witziges oder wenigstens überraschendes Chaos sorgt.

Dazwischen wird immer wieder der gefährliche Alltag geschildert. Die deutschen Soldaten marschieren durch die Straßen, ihre Gesichter werden nicht gezeigt und bleiben anonym. Sie bilden eine dunkle, diffuse Masse, eine allgegenwärtige Bedrohung (erfrischend die Episode, als die erbosten Kinder Steine auf die Soldaten der Flakstellung werfen, die den Ball nicht mehr herausgeben). Abendliche Ausgangssperre und Fliegeralarme sorgen nicht gerade für Entspannung. Auch die Nebencharaktere sind stark: der Maler Felix, der schon einmal den Nazis entkam, drückt seinen Prostest in allegorischen Bildern aus. Pater Philippe zeigt sich warmherzig, während sein Kollege André seine christliche Botschaft engstirnig mit Schlägen vermittelt und eine rassistische Ader offenbart. Am Ende wird es dann vollends tragisch. Während man über das Netzwerk hinter Pater Philippe, Herrn Henri und Frau Collin noch nichts erfährt, erweist sich ein vermeintlicher Helfer als Verräter. Felka und Felix geraten immer mehr ihn Gefahr und die beiden Kinder Klein Louis und Suzanne werden bei einer Razzia verschleppt und drohen nach Polen deportiert zu werden. An einen Ort namens Auschwitz…

Jetzt nach dem 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz ist es noch bedrückender, die letzten Seiten zu lesen und man fragt sich nicht nur, wie es mit Spirou weitergeht– sollte sein Weg tatsächlich Richtung Polen führen –, sondern unweigerlich, wie Émile Bravo die Fortsetzung der Geschichte und deren Schwere dann schultern will. Er selbst weiß das bereits, hat er die insgesamt 330 (!) Seiten dieser mächtigen Erzählung am Stück konzipiert (davon sind auch bei Dupuis bisher die beiden bei Carlsen vorliegenden Alben erschienen, vier werden es insgesamt): in einem Interview, das den Band beschließt, verrät er, dass er vier Jahre lang an der Konzeption und den Bleistiftzeichnungen gearbeitet hat. Auch bei seinen Zeichnungen verhält es sich wie beim Inhalt: lichte und farbige Episoden (u.a. auf dem Land) wechseln sich mit kargen Interieurs (die Wohnung von Spirou) oder beklemmenden nächtlichen Szenen ab (im Luftschutzbunker fragt ein ausgehungertes Kind, ob man Pips essen kann). Mit seinem Mammutwerk serviert Bravo, trotz tragikomischer Episoden, wahrlich keine leichte Kost. Die ist dennoch oder gerade deshalb höchst lesenswert und hat auch in der für gewagte Spirou-Interpretationen offenen Spezial-Reihe eine Sonderstellung inne. (bw)

Spirou und Fantasio Spezial, Band 28: Spirou, oder: die Hoffnung, Teil 2
Text & Bilder: Émile Bravo
94 Seiten, Softcover
Carlsen Verlag
14 Euro

ISBN: 978-3-551-77638-9

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