Meister Pip plündert alte Gräber. Dafür hat er einen Riecher und schon Etliches zusammengetragen. Dinge, von denen er keine Ahnung hat, was sie bedeuten, geschweige denn deren Funktion er kennt. Nun bietet sich ihm eine faustdicke Überraschung. In einer Grabkammer findet er einen Mann. Nackt wie Gott ihn schuf und zu Pips Entsetzen quicklebendig. Nach dem ersten Schreck merkt Pip, dass der Gute nicht sprechen kann. Er tauft ihn Goltan, nach einem Tattoo an seinem Oberarm (Gold Hand), dem einzigen Hinweis auf seine Vergangenheit. Denn als Goltan, von Pip und dessen Schwester Yss inzwischen aufgenommen, langsam sprechen lernt, zeigt sich, dass er jegliche Erinnerung an sein bisheriges Leben verloren hat (oder nie hatte?). Auch sonst erstaunt Goltan seine neuen Freunde: er kann Dinge aus Pips Sammelsurium reparieren (das geschulte Leserauge erkennt darunter auch die berühmte Mondrakete aus Tim und Struppi). Als er ein Gerät wieder zum Laufen bringt, das dreidimensionale Bilder aus einer offenbar fernen Vergangenheit abspielt (die Angriffe auf das World Trade Center), wird auch die Priesterkaste auf ihn aufmerksam. Denn deren alte Schriften berichten von der Ankunft eines Propheten. Könnte das Goltan sein?
Die Welt, in der die Story spielt, ist neben der Herkunft Goltans das große Mysterium der neuen Science Fiction Reihe des Routiniers Rodolphe (u.a. „Marie Jade“, „Trent“), der in jüngster Zeit v.a. durch seine Zusammenarbeit mit Leo (u.a. „Centaurus“, „Namibia“) von sich reden machte. Ein Mysterium, das am Ende des Bandes mit einem Paukenschlag gelüftet wird. Zuvor lernen wir die Welt, die die Menschen TER nennen, kennen: Die hoch gebaute Zwillingsstadt Niedermühl/Hochmühl, die höher gestellten, offenbar mächtigen Priester, die nicht sonderlich beliebt sind und die in Gestalt von Beth eine regelrechte Femme Fatale in ihren Reihen haben, welche ihre Reize geschickt einsetzt. Die Tierwelt, die gerne auch monströs und gefährlich ist. Dann gibt es immer wieder diverse Ungereimtheiten, die neugierig machen, wie beispielsweise die Tatsache, dass immer Strom da ist, den scheinbar niemand erzeugt. Haben wir es hier mit einer post-apokalyptischen Welt zu tun oder ist TER gar ein anderer Planet? Fast meint man, dass gleich um die Ecke die halb versunkene Freiheitsstatue aufragt, aber dann schafft es Rodolphe doch erfolgreich, den Leser aufs Glatteis zu führen.
Wenn auch das Ende des Serienauftakts Klarheit in Bezug auf TER schafft (Genaueres wird natürlich nicht verraten), bleibt die Person des Goltan weiterhin höchst geheimnisvoll. Der Mann ohne Gedächtnis und ohne Vergangenheit ist in vielerlei Dingen begabt – er ist technisch versiert, kennt alte Gerätschaften und beherrscht Kampftechniken – ansonsten erfahren wir rein gar nichts über ihn, was Potenzial für die Fortsetzung schafft. Rodolphe präsentiert hier eine anregende Science Fiction-Story, die die Spannung aus den Mysterien rund um die Welt TER und Goltan zieht. Die Zeichnungen von Christophe Dubois ähneln in ihrem sorgfältigen Stil und in ihrem Realismus, der in einer fremden und doch zeitweilig vertrauten Gesellschaft und Umgebung spielt, an die Werke eines François Schuiten („Die geheimnisvollen Städte“). Und als sich Goltan und Pip aufmachen, um die Herkunft des Namens TER zu ergründen, scheinen auf ihrer Reise, die fantasievolle Begegnungen mit fremden Tieren enthält, die Welten eines Leo durch. Wahrlich nicht die schlechteste Kombination. Ein rundum gelungener Serien-Auftakt mit diversen Skizzenseiten als Anhang. Band 2 erscheint im Januar 2020. (bw)
TER, Band 1: Der Fremde
Text: Rodolphe
Bilder: Christophe Dubois
80 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
18 Euro
ISBN: 978-3-96219-292-1