Spricht man von den X-Men und deren diversen „Unterabteilungen“ oder Nebenserien, kommen die New Mutants wohl kaum auf Anhieb zur Sprache. Das Mutantenteam, das aus jungen Mitgliedern bestand und aus dem später X-Force hervorging, wurde 1982 von Chris Claremont (klar, von wem sonst) und Zeichner Bob McLeod geschaffen, mit Abenteuern, die auf eine junge Leserschaft zugeschnitten waren. Vielleicht wäre daraus eine der vielen Serien geworden, die die Comic-Historie (zu Recht) vergessen hätte, wäre nicht mit dem Heft Nummer 18 (August 1984) ein Zeichner an Bord gegangen, dessen Stil auch heute noch einmalig ist und sich sofort im Gedächtnis verankert, ob man ihn mag oder nicht: Bill Sienkiewicz. Bis 1984 verdiente er sich bereits erste Lorbeeren mit dem Start der Moon Knight Serie, die er 1980 gemeinsam mit Autor Doug Moench aus der Taufe hob (bisher bei uns leider unveröffentlicht). Spätestens mit der von Frank Miller geschriebenen Miniserie „Elektra: Assassin“ wurde er dann 1986 zum Zeichen-Star. Dazwischen lag sein Run bei den New Mutants.
Deren Mitglied, bzw. Anführerin, die Cheyenne-Indianerin Danielle Moonstar, genannt Mirage, wird von Alpträumen geplagt. Darin begegnet sie dem Demon Bear, einem riesigen Geisterbären, der ihre Eltern umbrachte. Während die übrigen New Mutants (Cannonball, Magma, Sunspot, Wolfsbane) im Gefahrenraum von Professor Xaviers Schule für Begabte üben und ihre Kräfte kennen und zu kontrollieren lernen, manifestiert sich das Höllenbiest (so der Titel des Bandes) nun tatsächlich und richtet Danielle aufs Schlimmste zu. Schwerstverletzt kommt sie ins Krankenhaus, ihre Überlebenschancen stufen die Ärzte, die sogleich notoperieren, als gering ein. Als ihre Kameraden vor dem OP-Saal um ihr Leben bangen, werden auch sie von dem Bären angegriffen. Der erweist sich als besonders feist – er kann nämlich teleportieren – und befördert das komplette Team in eine neue, menschenleere und naturbelassene Welt/Dimension. Dort entbrennt ein wüster Kampf, denn je mehr der Bär attackiert wird, umso stärker scheint er zu werden…
Ein ungewöhnlicher Gegner: kein konventioneller Superschurke, sondern eine tierische Bestie, die es – warum auch immer – auf die Moonstars abgesehen hat. Als Danielle um ihr Leben kämpft, lässt der Demon Bear den übrigen New Mutants keine Wahl: sie müssen kämpfen, versuchen ihre Kräfte, die sie teilweise noch nicht wirklich beherrschen, sinnvoll einzusetzen und dazu noch im Team zusammenarbeiten. Obwohl der Geisterbär sich manifestiert, überdimensional und real, mit gewaltigen Klauen, wirkt er auch wie eine abstrakte, unwirkliche Bedrohung, was in erster Linie dessen Darstellung geschuldet ist. Denn Comicleser konnten hier erstmals den exzessiven, kaum zu bändigenden Strich von Bill Sienkiewicz bewundern, der wild und auch avantgardistisch ständig die Panels zu durchbrechen droht. Und der dennoch, verglichen mit späteren Arbeiten, wie „Stray Toasters“ (1989) oder das gemeinsam mit Alan Moore gestartete und leider nicht beendete „Big Numbers“ (1990), verhältnismäßig konventionell gehalten ist.
Die ersten drei Stories drehen sich um den Kampf gegen den Demon Bear (wobei auch X-Men Ikone Chris Claremont mit wortgewaltigen Texten glänzt), während die letzte Geschichte die Ankunft des außerirdischen Techno-Wesens Warlock schildert (auch dessen Look ist eindrucksvoll von Sienkiewicz illustriert), das fortan Teammitglied der New Mutants werden sollte. Übrigens: die Höllenbiest Story bildet die Vorlage für eine Verfilmung, die bereits seit einer Weile abgedreht ist (Trailer gibt’s auf YouTube), die aber – warum nur? – erst im nächsten Jahr in die Kinos kommen (im Moment gibt’s dort ja „X-Men: Dark Phoenix“ zu sehen) und offenbar einen gehörigen Horror-Touch aufweisen soll. Würde ja passen. Bleibt zu hoffen, dass bei uns irgendwann noch mehr frühere Werke des Zeichners erscheinen (s.o.). Für die Sammler-Kollegen legt Panini wieder eine limitierte Variante des Bandes auf: nur 222 Exemplare und im Hardcover-Format. (bw)
New Mutants: Höllenbiest
Text: Chris Claremont
Bilder: Bill Sienkiewicz
116 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Verlag
13,99 Euro
ISBN: 978-3-7416-0784-4