Mark Millar hat sich verkauft. Genauer gesagt Millarworld, seine Firma. An den Streaming-Giganten Netflix. Der Coup bietet ungeahnte Möglichkeiten für beide Seiten. Netflix kann jetzt, nach dem Wegfall der Marvel Lizenzen, in aller Ruhe auf die Millarworld- Comic-Stoffe zugreifen und Millar darf in aller Ruhe und weiter – hoffentlich – in aller Freiheit, also losgelöst von amerikanischen Comic-Branchenriesen, seine Ideen in Comicform bringen. Unterstützt und ebenfalls veröffentlicht von Netflix. Und so prangt folgerichtig das Netflix Logo auf dem Backcover dieses Comicbands, der mit sechs US-Heften die komplette Miniserie beinhaltet. Der erste Stoff, der von dem Streaming-Dienst auch in TV-Serienform adaptiert werden wird. Eine Win-Win Situation, solange sich Millar weiterhin seine kreativen Freiheiten bewahren kann und seine Stoffe und Ideen nicht zur Routine werden lässt.
„The Magic Order“ ist Fantasy. Es geht um eine Familie aus Zauberern, die Moonstones, Vater Leonard, Tochter Cordelia und die beiden Söhne Regan und Gabriel. Die Moonstones führen den Magischen Orden. Dessen Job ist – oder besser war es – Monster von der Erde zu tilgen (das ist allerdings schon tausend Jahre her) und den Planeten vor ihnen zu beschützen. Das tun die Zauberer unerkannt und im Verborgenen. Offiziell leben sie wie Otto Normalverbraucher. Unheil bahnt sich an, als ein Magier nach dem anderen brutal getötet wird. Von einem unbekannten Killer in einem alten, venezianischem Umhang samt Maske. Hinter den Morden steckt offenbar Madam Albany, Chefin einer abtrünnigen Gruppe von Zauberern, die sich an den Moonstones – warum auch immer – rächen will. Als Leonard scheinbar spielend leicht und äußerst blutig von dem Venetianer getötet wird und Madam Albany jegliche „Friedensverhandlungen“ ablehnt, müssen sich die Moonstone-Geschwister der scheinbar übermächtigen Bedrohung stellen, ob sie wollen oder nicht…
Im Prinzip kredenzt uns Millar in seinem neuesten Werk eine Superhelden-Story im magischen Gewand. Statt Superkräfte bietet er eben Zaubertricks. Bei den Kämpfen sieht man da kaum einen Unterschied, bis auf die knöchernen Zauberstäbe, mit denen die Figuren hantieren, was natürlich an Harry Potter erinnert und erinnern soll. Der Kampf Gut gegen Böse (wobei das Motiv von Madam Albany echt schwach ist, bis sich gegen Ende ein Twist offenbart) ist auch nichts Neues. Millar punktet dennoch und vor allem mit seinen wilden und frappierenden Ideen: Die Familien-Burg der Moonstones, die in einem Gemälde verborgen ist und die der mysteriöse alte Onkel Edgar nicht verlassen darf; die Art und Weise wie die Morde scheinbar in aller Öffentlichkeit begangen werden (Stichwort „Wassertaxi“) oder ein Hotel exklusiv für Zauberer, das jenseits von Raum und Zeit existiert. Natürlich blitzt auch der für Millar typische trockene, sarkastische Humor immer wieder auf.
Dazu gesellen sich Strukturen wie aus einem Mafia-Film (verfeindete Familien mit entsprechenden Traditionen, die eine Vendetta ausfechten), magisch-mächtige Bücher und Artefakte, die Objekt der Begierde sind und sogar Zeitreisen, die niemanden groß überraschen. Und am Ende der besagte (Doppel-) Twist, der mit dem vorherigen Geschehen mächtig aufräumt. Dann wieder als typisches Millar-Werk. Die Charaktere sind auf der guten Seite fein skizziert: Der Familienpatriarch, der seinen Pflichten nachgeht; der Sohn, der sich von der Zauberei aufgrund des Todes seines Kindes abgewandt hat und die Tochter, die als Schwarzes Schaf der Familie gilt. Auf der anderen Seite sind die Schurken einfach nur böse. Im Aussehen, in ihrer derben Sprache und natürlich in ihren Taten. Licht und Schatten also, wie der ganze Band. Zeichnerisch gibt sich der gebürtige Franzose Olivier Coipel keine Blösse. In seinen actionreichen Panels stehen die Personen im Mittelpunkt, ausdrucksstark und hübsch wie blutig anzusehen. Fazit: Nicht Millars Meisterwerk, aber noch immer bestens lesbar. (bw)
The Magic Order
Text: Mark Millar
Bilder: Olivier Coipel
180 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
17 Euro
ISBN: 978-3-7416-1243-5