Undertaker, Band 4 (Splitter)

Juni 12, 2018

„Hippokrates kann mich mal!“ Auch als Rose ihren Peiniger, von dem sie dennoch abhängig ist, mit einem letzten verzweifelten Argument an dessen Berufsehre packen will, läuft ihr Bemühen ins Leere. Denn Jeronimus Quint schert sich nicht um den besagten Eid. Er schert sich einzig und allein um sich. Als charismatischer Bösewicht stiehlt der perfide, ehemalige Militärarzt – im Bürgerkrieg der „Kannibale von Sutter Camp“ genannt – einmal mehr dem Undertaker Jonas Crow die Schau. Der verfolgt gemeinsam mit der knorrigen Chinesin Lin den bärtigen Koloss, der Rose das Handgelenk zertrümmerte, nur um sie von ihm anhängig zu machen – ist Quint doch weit und breit der Einzige, der sie operieren und damit heilen kann. Um die Verfolger abzuschütteln, bzw. sie beseitigen zu lassen, zeigt Quint sein ganzes psychologisches Geschick: wie Sherlock Holmes vermag er, die Schwächen eines Menschen deduktiv herzuleiten. Dabei offenbart er jegliches Fehlen von Empathie und befolgt seinen eingangs erwähnten Spruch konsequent, indem er jegliche ärztliche Ethik über Bord wirft und seine „Patienten“ gezielt verletzt, damit deren Angehörige gefügig macht und diese gegen Jonas Crow aufhetzt.

Was – das sei vorweg genommen – nicht wirklich funktioniert. Denn der Undertaker, einerseits von Rache beseelt, andererseits massiv um das Wohlergehen von Rose besorgt (mit einer Zuneigung, die er nie offen eingestehen würde), handelt auch nicht zimperlich, sondern setzt seinen Weg konsequent fort, Kollateralschäden in Kauf nehmend. Er bleibt, gemeinsam mit Lin, die hartnäckig an seiner Seite verharrt, auf Quints Spur, bis er ihn schließlich im Visier hat. Doch dann, nach einer Explosion in einem Sägewerk, kommt wieder das Dilemma auf den Tisch, das bereits in Sutter Camp Quints Freifahrtschein war: als einziger Arzt kann er den Verletzten helfen, seine perversen Machenschaften nimmt man daher zähneknirschend in Kauf. Quint weiß das und nutzt es aus (die Explosion hat er wohl selbst herbeigeführt) und der Undertaker wählt die Behandlung der Verletzten durch Quint, statt dessen Tod. Ein letztes Mal, denn schließlich kommt es doch noch zum finalen Showdown der beiden Antagonisten, bei dem die Vögel, die die beiden Herren als Haustiere halten, eine gewisse Rolle spielen.

Am Ende überspannt Jeronimus Quint den Bogen. Auch hinsichtlich der Story wiederholt er sich. Schaden anrichten, um ihn dann selbst zu reparieren und dadurch unantastbar – weil unersetzlich –zu sein. Immer wieder. Als brillanter Chirurg, vollends von sich überzeugt, dabei jegliche Grenzen überschreitend, wird ihm der Größenwahn zum Verhängnis. Zumindest vorerst – gut möglich, dass wir dem Psychopathen mit dem freundlichen Lächeln noch einmal begegnen. Für den Undertaker bedeutet das Ende der Hatz auf Quint eine Zäsur, die sich storytechnisch im nächsten Album mit dem Titel „Der weiße Indianer“ bemerkbar machen wird. Autor Xavier Dorison serviert hier eine Geschichte mit Tiefgang, bei der immer wieder die Frage nach der richtigen Bewertung von Gut und Böse aufkommt. Mit zwei starken Gegenspielern, einer davon ein schillerndes, hochintelligentes Monster. Wie gehabt setzt Zeichner Ralph Meyer die Personen und den Wilden Westen in seinem charakteristischen Stil in Szene, mit hohem Wiedererkennungs-Faktor und ganz der Western-Schule eines Jean Giraud verhaftet. Dabei sorgen diverse Schauplätze, wie das Sägewerk, eine verhängnisvolle Bootsfahrt oder ganz einfach die üppige Natur für reichlich optische Abwechslung in dem spannenden Katz-und-Maus-Spiel. Und Schießereien gibt es natürlich auch. Schließlich haben wir hier einen Western. Und einen edlen obendrein. (bw)

Undertaker, Band 4: Der Schatten des Hippokrates
Text: Xavier Dorison
Bilder: Ralph Meyer
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
15,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-130-7

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