Sherlock, Band 2 (Carlsen)

August 15, 2017

Ebbe in der Kasse und Langeweile. So geht das Leben in der Baker Street dahin – und so kommt es gar nicht ungelegen, dass plötzlich Sherlocks Studienfreund Sebastian Wilkes seinen alten Kumpel kontaktiert. In die renommierte Investmentbank Shad Sanderson, für die er arbeitet, ist eingebrochen worden. Kurios dabei: der Bruch dauerte gerade einmal eine halbe Minute, es wurde nichts gestohlen – dafür aber das Gemälde des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Sir William mit einer Sprühdose verunstaltet. Die Türen waren samt und sonders verschlossen, woraus Sherlock folgert, dass man es wohl mit einem äusserst akrobatischen Missetäter zu tun haben muss. Schnell stellt der Meister weiterhin fest, dass es sich um eine Art Warnung zu handeln scheint – bestens zu sehen vom Arbeitsplatz von Edward van Coon, des Leiters der Asien-Abteilung.

Als Sherlock diesen Herren daheim aufsucht, ist es bereits zu spät: van Coon liegt tot auf dem Bett, eine Kugel in der Schläfe. Alle Türen verschlossen, selbstverständlich. Der herbeieilende Detective Inspektor Dimmock (Lestrade ist gerade anderweitig beschäftigt) tippt schnell auf Selbstmord und ignoriert Sherlocks eindringliche Beweisführung, die das Gegenteil belegt (wie soll ein Linkshänder sich in die rechte Schläfe schießen?). Tags darauf findet man den Journalisten Brian Lukis ermordet in seiner Wohnung vor – ebenfalls keinerlei Zeichen eines Einbruchs. Spätestens jetzt steht es für Holmes fest: es muss eine Verbindung geben zwischen den Toten, die sich offenkundig mit dem falschen Partner angelegt haben. Der Weg führt schließlich nach Chinatown, mitten hinein in die Welt des Schmuggels, in die auch die junge Soo Lin Yao tief verstrickt scheint…

Auch in Band 2 seiner Adaption der in jedem Wortsinne elementaren BBC-Serie hangelt sich Mangaka Jay akribisch am Drehbuch von Steven Moffat und Mark Gatiss entlang. Im zweiten Abenteuer des hochfunktionalen Soziopathen setzen Moffat und Gatiss Holmes‘ Meisterschaft im Deduzieren von Sachverhalten erneut amüsant in Szene – Sebastian kennt Sherlocks Methoden schon aus Uni-Tagen nur allzu genau und wirft ihm lachend entgegen, er habe sicher Ketchup aus New York oder besonders seltenen Dreck an den Schuhen. Holmes‘ Aufklärung, er habe vorher mit seiner Sekretärin gesprochen, ist nur vorgeschoben: natürlich hat der Meister aus Indizien auf Wilkes‘ Reisetätigkeit geschlossen. Gleichzeitig tritt die Beziehung zwischen Holmes und seinem Mitbewohner stärker in den Mittelpunkt: die mehr als einmal als homoerotisch gedeutete Zweisamkeit nötigt Watson wiederholt zur Klarstellung, dass er Holmes‘ „Kollege!“ sei, wobei der sich allerdings schwer tut nachzuvollziehen, warum in aller Welt Watson denn ein Date brauche – er habe doch ihn.

Watsons Privatleben kommt in Form der Sprechstundenhilfe Sarah dennoch ein wenig in Fahrt, die dadurch allerdings ins Fadenkreuz der finsteren Hintermänner des Falles gerät. Ohne jeglichen Auftritt von Mycroft, Lestrade oder gar Moriarty steht „Der blinde Banker“ ein wenig singulär im Holmes-Kanon, liefert aber als fröhliche Schnitzeljagd, bei der á la Da Vinci-Code eine Geheimschrift zu knacken ist, genügend Möglichkeiten, Holmes‘ Brillanz vorzuführen und gleichzeitig humoristisch zu brechen (etwa, als Watson sich an eine Geheimschrift erinnern soll und Holmes damit verblüfft, dass er kurzerhand ein Foto davon gemacht hat). Im Original erschien diese Comicfassung wie Teil 1 bereits im Jahr 2014 in Kadokawas monatlichem Manga-Magazin „Young Ace“ und erblickt hier in Carlsens Manga-Programm das Licht der deutschen Comicwelt. Band 3, „Das große Spiel“, steht uns im November ins Haus und schließt die erste TV-Staffel ab. Dem Vernehmen nach arbeitet Jay bereits an Band 4, „Ein Skandal in Belgravia“. (hb)

Sherlock, Band 2: Der blinde Banker
Text: Jay, nach dem Drehbuch von Mark Gatiss & Steven Moffat
Bilder: Jay
196 Seiten in Schwarz-Weiß, Softcover
Carlsen Verlag
12,99 Euro

ISBN: 978-3-551-72885-2

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