Doktorarbeiten leben von knackigen Themen, zweifelsohne. Aber die Geschichtsstudentin Ludivine hat schon einen ganz besonders heißen Aufhänger am Start: „Sex regiert die Welt“, so der ursprüngliche Titel ihrer Forschungen, der ihr dann aber doch selbst zu brenzlig wird. Mit dem etwas zahmeren „Geschichte ohne Hüllen“ als Projekt in der Tasche spaziert sie mit ihrem Kumpel Jean in die Bibliothek, um dort am Computer das bisher Geschriebene durchzusehen. Aber als sie den USB-Stick einführt (der musste sein, sorry), bildet sich ein Wirbel, der sie geradewegs in den Computer hineinzieht. Urplötzlich findet sich die Dame in der Welt der Neandertaler wieder, bei denen sie gleich mal gewaltig für Eindruck sorgt: sie bringt den Steinzeit-Frauen bei, sich doch auch mal ein wenig sexy zu geben, und steht den Höhlenmalern als Nackedei freizügig Modell. Als die sabbernd auf sie losstürmen, wirbelt es das dralle Fräulein weiter ins Rom des Jahres 44 vor Christus, wo sie Julius Caesar gleich in den Senat abschleppt und die alten Säcke sich vor lauter Raserei über den Herrscher hermachen und ihn um die Ecke bringen. Mit dem Hofschreiber Ralfrutis, der erotische Hieroglyphen schreibt und in Rom dafür ein paar Orgien studieren wollte, flieht sie nach Ägypten und verdreht dort Marc Aurel so den Kopf, dass sich Cleopatra umbringen will.
Weiter im fliegenden Wechsel geht es zu der Schafe hütenden, tumben Johanna von Orleans, die auf ihre Berufung durch Engel kaum begeistert reagiert, weshalb Ludivine flugs in ihre Rolle schlüpft und mit berstender Rüstung, die alsbald ihre Formen freigibt, die Engländer verjagt, wobei die rasende echte Johanna versehentlich auf dem Scheiterhaufen landet. So geht die lustige Reise durch die Betten weiter, vom Hof Heinrich IV (der nur dank Ludivines Reizen nicht als Henri Winzig in die Historie eingeht und das Edikt von Nantes erlässt, damit ihn die Herzogin von Nantes, eine Protestantin, endlich ranlässt) über die frühen Gehversuche des Tragödienschreibers Molière, den sie handgreiflich überzeugt, dass er bei Komödien besser aufgehoben ist, bis hin zum Sturm auf die Bastille, bei denen sie die Sansculotten anführt. Nach der Schlacht von Waterloo, die Marschall de Grouchy nur wegen ihrer Verlockungen versäumt und der Erfindung des French Can-Can findet sich Ludivine schlussendlich in den Schützengräben des ersten Weltkriegs am Vorabend der Schlacht an der Marne. Jean versucht indessen verzweifelt, sie wieder zurückzuholen, aber die Bibliothekarin findet das mit den Pornoseiten, auf denen er da anscheinend surft, gar nicht lustig…
Erroc („Die Pauker“ bei Salleck) und Rodrigue („Percy Pickwick“, „Die Parodie“, beide bei toonfish) schicken ihre in der Tat durchaus leckere Heldin (deren Name nicht umsonst klingt wie „die Göttliche“) hier à la „Tron“ in den Computer und von da aus auf eine genüsslich subversiv-respektlose Reise durch die Geschichte der Grande Nation, in der in jeder Episode Ludivines Grundthese bestätigt wird: überall, wo sie auftaucht, verlieren Männer ob ihrer knackigen Formen den Verstand, sie löst damit absichtlich oder aus Versehen weltgeschichtliche Ereignisse aus und landet gleichzeitig noch in den verbürgten zeitgenössischen Zeugnissen – stets leicht bekleidet, gerne barbusig, so gerät sie zur Ikone der französischen Revolution auf Eugene Delacroix’ weltberühmten Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“, trifft den Maler Toulouse-Lautrec, der von ihr betört das Plakat und gleich das Pin-Up erfindet, und spioniert im Ersten Weltkrieg erfolgreich im Bustier gegen die Deutschen.
Dabei gönnen sich Erroc und Rodrigue ein vergnügliches Spiel nicht nur mit der Historie, sondern auch mit dem Medium: Ludivine stellt selbst fest, dass sie schon wieder seit einigen Seiten nackt herumlaufen müsse, und wundert sich aufgrund ihrer spärlichen Aufzüge in Mieder und Strapsen: „Bei all den Klamotten, die ich andauern trage, frage ich mich, ob die ganze Geschichte nicht ein Vorwand der Autoren ist, um sich zu amüsieren?“ Damit liegt sie zweifelsohne richtig, aber trotz allem Funny-Stil, Unschuldskulleraugen und hüpfender Oberweite, die Dany (der auch im „ernsten“ Fach beheimatet ist und seinerzeit „Andy Morgan“ von Hermann weiterführte) fröhlich inszeniert, lauert hier dieser Achterbahnfahrt, die im Original nicht umsonst „L’Histoire sans dessous… dessous!“ heißt, ein Grundgedanke, der in durchaus honoriger literarischer und kultureller Tradition steht. Dass nämlich Erotik und sexuelle Obsession geschichtliche Ereignisse beeinflussen und sogar auslösen, das hat uns auf der Bühne schon der Meister der Geschichtsdemontage Arthur Schnitzler im „Grünen Kakadu“ und im Kino Beziehungsspezialist Ernst Lubitsch in seiner historischen Erotik-Komödie „Madame Dubarry“ vorgeführt. Und das sind nun wahrlich keine schlechten Referenzen, wenn es um zwischenmenschliche Turbulenzen geht. (hb)
Ludivine – Unterm Mantel der Geschichte
Text: Dany
Bilder: Erroc, Michel Rodrigue
56 Seiten in Farbe, Hardcover
toonfish/Splitter Verlag
13,95 Euro
ISBN: 978-3-95839-958-7