Alice Matheson, Band 2 (Splitter)

September 8, 2016

Alice Matheson, Band 2 (Splitter)

Eigentlich könnte das Leben so einfach sein für Alice: sie könnte ihrem Job als Krankenschwester in einem Londoner Hospital nachgehen und dabei in aller Ruhe Patienten ermorden, die ohnehin nicht mehr lange zu leben haben. Das bereitet ihr nämlich höchste Genüsse, und die Opfer haben ja eh nichts mehr zu verlieren. Dumm nur, dass seit einiger die Zeit die Toten nicht mehr tot bleiben wollen: in der Leichenhalle ist eine Bombenstimmung, als sich die eigentlich Verschiedenen reihenweise wieder erheben. London wird von einer Zombie-Plage heimgesucht, die offenbar im Krankenhaus ihren Ursprung nahm: daraus ist nämlich das erste Opfer, treffenderweise Agent Z genannt, geflohen, bevor er einen Autounfall verursachte, dessen Insassen dann eingeliefert wurden und die Malaise richtig anfing. Alice lässt sich aber davon nicht beirren und bringt frohgemut Mrs. Fergusson um die Ecke – aber dabei wird sie von Schwester Samantha Payne überrascht, die schon immer dachte, mit der mysteriösen Alice stimmt irgendetwas nicht. Alice betäubt ihre Kontrahentin kurzerhand und steckt sie in die Wäschekammer, um erst einmal Ruhe zu haben.

Einstweilen gehen die Untersuchungen weiter, die die Polizei unter Inspektor Kitson von Scotland Yard direkt vor Ort anstellt. Der Auslöser der Zombifizierung, so findet man heraus, wird nur durch direkten Kontakt übertragen – und wurde zu allem Überfluss offenbar im Krankenhaus ganz bewusst den alsbald aktiv werdenden Leichen injiziert. Irgendjemand, so der einzig mögliche Schluss, experimentiert hier mit einem Mittel, das die Toten wieder zum Leben erweckt. In dieser explosiven Gemengelage trifft Alice in der Notaufnahme auf den heruntergekommenen Harold Butler, der eine Bisswunde an der Hand aufweist, die angeblich von seinem Hund herrührt. Das scheint sogar zu stimmen, aber Butler sagt Alice auf den Kopf zu, dass er sie unter anderem Namen kennt. Die Schlinge scheint sich zuzuziehen, aber als die Polizei die plötzlich im Aufzug auftauchende Samantha, die durch die Betäubung wirkt wie ein Untoter, erschießt und Butler als gesund entlassen wird, wendet sich das Blatt zu ihren Gunsten. Aber der gute Mann ist insistent, hat sich am verwaisten Krankenhaus-Computer vorher schnell noch Alices Privatadresse organisiert und lungert vor ihrer Wohnung herum, bis es Alice zu bunt wird: sie lockt ihn in die verlassenen U-Bahn-Schächte der Blackfriars Bridge und konfrontiert ihn, um herauszufinden, was genau er über sie weiß – immerhin hat sie ja (angeblich) keine Erinnerung an ihr Leben als Kind, das ein traumatisches Erlebnis beinhalten muss…

Band Zwei der Saga um die monströse Krankenschwester (das scheint ja irgendwie bei vielen ein Trauma zu sein und entwickelt sich ja fast schon zum Leitmotiv, siehe „Die Krankenschwester“) nimmt den Faden aus dem Erstling nahtlos auf und baut die hintergründige Handlungsprämisse konsequent weiter aus. Mit der mörderischen Alice fügt Jean-Luc Istin der fast schon handelsüblichen existentiellen Seite des Zombie-Komplexes – wie reagiert die Menschheit, wenn die Zivilisation fällt? – eine perfide Variante hinzu: wie reagiert ein Monster, wenn es urplötzlich in eine Welt voller Monster gerät? Nach dem anfänglichen Schock darüber, dass ihr Ritual des genüsslich-machtvollen Tötens sinnlos zu werden scheint, erkennt Alice die Vorteile der Situation: in einer Umgebung, in der das Sterben alltäglich ist und Menschen permanent verschwinden oder mutieren, kann sie ihr Unwesen noch viel ungenierter treiben als bisher. Das trifft auch den Schwadroneur Doktor Barry: als der Kollege ihr nämlich weiter unverhohlen Avancen macht, schwärzt sie ihn kurzerhand bei Inspektor Kitson als nächsten Zombie-Kandidaten an – genau wir ihr einfacher Hilferuf genügt, um Schwester Paynes Schicksal mit einem Kopfschuss zu besiegeln. Opportunistisches Denunziantentum also, wie man es aus allen totalitären Systemen kennt.

Die außergewöhnliche Lage bringt somit den letztlich willkommenen Deckmantel für Unsägliches, aber mit Butler wird Alice dennoch mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, die in irgendeiner Form für ihren inhumanen Sadismus verantwortlich sein muss – also für die Lust, Herrin über Leben und Tod zu spielen, was der Story deutlich mehr Schubkraft verleiht als eine bloße Zombie-Hatz. Wenn die auf insgesamt sechs Bände angelegte Serie in dieser Intensität und auch gestalterischer Verve fortgeführt wird, dann steht uns weiter wohlig-gruseliges Rätselraten um die wahren Motive der Frau Matheson bevor. Und darauf freuen wir uns jetzt schon! (hb)

Alice Matheson, Band 2: Der Killer in mir
Text: Jean-Luc Istin
Bilder: Philippe Vandaële
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-301-1

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