Superhelden helfen Menschen. Klar. Und wenn sie noch so mächtig sind (Stichwort Superman), sie setzen ihre Kräfte stets uneigennützig für das Gute und zum Wohle der Menschheit ein. Meistens. Damit sie dabei auch anständig was zu tun haben, hat man für sie die Superschurken erdacht. Als böses Pendant, das den immerwährenden Kampf zwischen Gut und Böse wieder ausgleicht. Aber das ist nicht immer so. Es gibt wunderbare Superhelden-Dystopien, meist abseits von Marvel und DC. Wir nennen da gerne großartige Titel wie „A God Somewhere“ oder „Das Cape“. Hier wird der Superheld, ein Einzelner und vermeintlich Guter, böse und rücksichtslos angesichts seiner unbeschränkten Macht. In Mark Millars neuem Superhelden-Universum, das der Star-Autor (Kick-Ass, Wanted) in Jupiter’s Legacy vorstellt, sind nun die Gut- und Böse-Rollen klar bestimmt, verwischen dann und drehen sich schließlich um 180 Grad. Dazu mixt Millar noch ein wenig Politik und intrigante Familienstreitereien auf der ganz großen Bühne und fertig ist ein modernes Superhelden-Epos, das zu beeindrucken weiß.
1932, die Zeit nach der Weltwirtschaftskrise (und das Jahr, als King Kong gedreht wurde): der Amerikaner Sheldon Sampson ist von einer fixen Idee besessen. Mitten im Atlantik vermutet er eine Insel, die auf keiner Karte verzeichnet ist. Die Insel zieht ihn magisch an, ruft regelrecht nach ihm. Es gelingt ihm, seinen Bruder Walter und einige Freunde zu überzeugen, ihm zu folgen. Natürlich finden sie die Insel. Natürlich werden sie dort zu Superhelden. Zeitsprung ins Jahr 2013. Sheldon, Walter (beide gealtert, aber noch putzmunter), ihre Freunde (die von der Insel), Familien und Nachkommen sind nun Super. Sheldon nennt sich treffend Utopian und ist der Kopf aller Helden. Seine Ansichten entsprechen unserem gängigen Superhelden-Klischee (siehe erster Absatz). Doch sein Bruder Walter hadert. Er will sich Sheldon nicht mehr unterordnen und vor allem will er sich in die Politik einmischen, um Amerika mit seinen Ideen aus einer schweren wirtschaftlichen Misere zu helfen. Sheldons Kinder interessiert das alles herzlich wenig. Sie tragen normale Klamotten, sind hip, machen Party, saufen wie die Löcher und erfüllen wohl oder über ihre Sponsoren-Verträge, damit Kohle in die Kassen gespült wird. Wenn es mal gegen Superschurken geht, halten sie sich vornehm zurück, sofern sie überhaupt auf dem Schlachtfeld blicken lassen.
Walter becirct seinen Neffen Brandon, denn da er nicht weiter die zweite Geige hinter seinem Bruder spielen und sich politisch ungehemmt engagieren will, muss ein radikaler Umsturz her. Brandon, selbst nicht grün mit seinem Vater, lässt sich bereitwillig vor den Karren spannen und wird so zum willfährigen Werkzeug seines Onkels. Bald fließt Superhelden-Blut, sehr zum Leidwesen von Brandons Schwester Chloe, die eher als It-Girl und durch Drogeneskapaden statt als Superheldin auf sich aufmerksam macht. Chloe hat gleich zwei Probleme: sie ist schwanger und der Vater, Hutch, ist der Sohn des größten Superschurken aller Zeiten. Nur mit Müh und Not gelingt den beiden während des Umsturzes die Flucht. Neuer Zeitsprung ins Jahr 2022. Die weltweite Wirtschaft liegt am Boden. Schuld ist Onkel Walter, der inzwischen auch die politische Macht in den USA übernommen hat und dessen Ideen die Menschen weltweit immer weiter Richtung Abgrund treiben. Ausgangssperre und totale Überwachung sind da noch die kleineren Übel. In Australien leben Chloe, Hutch und ihr Sohn Jason im Verborgenen. Doch die heimlichen Superhelden-Rettungstaten Jasons bleiben Walter nicht lange verborgen…
Schuster bleib bei deinen Leisten, möchte man sagen. Nachdem Walter die politische Macht an sich gerissen hat, gehen seine „Reformen“ (neue Ideen ausprobieren, nennt er es) ins Leere. Was ihm egal ist – wie auch offenbar das immer größere Leid der Menschen, die inzwischen quasi unter einem diktatorischen Regime leben. Was kann man denn als einfacher Mensch schon tun gegen übermächtige Superhelden? Dazu kommt, dass sämtliche untergetauchte Helden und Schurken systematisch aufgespürt und ausgeschaltet werden. Superheldentum als totalitäre Staatsmacht. Indem er die Unmenschlichkeit und Rücksichtslosigkeit der Helden aufzeigt, verdeutlicht Millar gleichzeitig, wie überaus menschlich jene „Götter“ handeln, wenn ihnen große Macht zuteilwird und gleichzeitig das Bewußtsein für Gerechtigkeit immer weiter schwindet. Ein schöner, stets aktueller Bezug. Jason, der inzwischen 8-jährige Sohn von Chloe und Hutch stellt die dritte Generation von Helden dar. Die erste wurde verraten. Die zweite hatte kein Interesse am Heldentum. Die dritte nun in Person Jasons weist nun wieder „das zwanghafte Helfersyndrom“ auf, wie es im Band genannt wird. Mit seinen Last-Minute Rettungstaten bleibt der Junge nicht lange unbemerkt. Zwar versucht er stets seine Taten zu kaschieren, bis er schließlich doch einen fatalen Fehler macht.
Kaum ein Zeichenstil im Superhelden-Genre ist so markant wie der von Frank Quitely (All Star Superman, X-Men). Der Wiedererkennungswert ist enorm. Sein Strich ist krakelig aber trotzdem klar und fein. Auf Soundwords wird gänzlich verzichtet, was die Action-Panels wie Teile von Special Effects Einstellungen wirken lässt, wie filmische Action-Stillleben, die eingefroren sind und von der Kamera umkreist werden, was an die Zerstörungsorgien eines Geof Darrow in Hard Boiled erinnert. Stets beeindruckend anzusehen. In der Handlung produziert Millar bisweilen mit einigen Episoden und Motiven Anklänge an Alan Moores allmächtige Watchmen (unerkannt lebende Superhelden, Allmacht, die Episode auf dem Mond), und lässt genug Handlungsfäden offen, um den Leser auch für den Folgeband massiv bei der Stange zu halten: wird es eine Gegenrevolution unter den Superhelden, angeführt von Chloe und ihrer Familie geben? Wie genau ging die „Übergabe“ der Superkräfte damals von statten? Die Insel scheint außerirdischen Ursprungs zu sein. Haben die Schurken ebenfalls ihre Kräfte von dort? Bei Image in USA sind bisher fünf Hefte erschienen, die in diesem Band gesammelt sind. Dort geht es erst ab Juni mit der zweiten Staffel weiter, weshalb wir uns bis zum Erscheinen des Folgebandes leider noch etwas gedulden müssen. (bw)
Jupiter’s Legacy, Band 1: Familienbande
Text: Mark Millar
Bilder: Frank Quitely
140 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
16,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-626-9