Herzschmerz ist nicht schön. Das erfährt auch der Dichter Dante Alighieri, dessen Holde Beatrice ihn ins Jenseits verlassen hat. Daran hat er ordentlich zu knabbern, sein heimatliches Florenz scheint ihm öd und leer, bis ihm die Verblichene plötzlich erscheint und auffordert, zu ihr zu kommen: „Folge dem Dichter!“, ermutigt sie ihn, und prompt tritt ihm der römische Dichter Vergil entgegen. Der Autor der Aeneis nimmt Dante mit auf eine Reise über den Totenfluss Acheron, hinter dem sie das Höllentor mit der nicht unbedingt ermutigenden Aufschrift „Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!“ durchschreiten.
Abwärts geht es in konzentrischen Kreisen, immer tiefer durch neun Höllenkreise des titelgebenden Infernos, wobei man die sieben Todsünden wie Wollust, Habgier, Völlerei und Geiz ebenso durchläuft wie Ketzerei, Heuchelei und Glaubenslosigkeit, jeweils garniert mit passenden Strafen für die armen Seelen (ehemalige Geizkragen müssen Felsen umherschleppen, Völlerei-Fans waten im Schlamm), die sich des jeweiligen Vergehens schuldig gemacht haben.
Auf dem Weg treffen die beiden Wanderer so ziemlich jede bekannte Figur der Weltgeschichte, angefangen von Philosophen und Wissenschaftlern wie Diogenes (ordnungsgemäß mit Tonne), Sokrates, Aristoteles und Plato über Sagenfiguren wie den Minotaurus bis hin zum Lebenslust predigenden Epikur, der in der Schmerzensstadt Dis erfahren muss, dass die Seele eben auch dann weiterlebt, wenn der Körper stirbt. In einem See aus Blut jagen Zentauren ehemals mächtige Mörder und Tyrannen, über einem brennenden Fluss erreicht man den 8. Höllenkreis, bis hinter den Gruben von Malebolge Kreis Nummer 9 wartet, in dem der Leibhaftige selbst gefangen gehalten wird. Ein Engel rettet die beiden vor Luzifer himself, und schließlich nähert sich das Ende der buchstäblichen Höllenfahrt…
Die „Göttliche Komödie“, die Divina Commedia aus der Feder von Dante Alighieri, dürfte eines der einflussreichsten Werke der Weltliteratur darstellen. Das epische Gedicht, das der Florentiner um 1321 fertigstellte, liefert eine allegorische Reise der Seele zu Gott, die durch drei Stufen – Inferno, Purgatorio und Paradiso – die eigenen Sünden erkennen, eingestehen und bereuen muss, bevor die Erlösung winkt. Die Kunstfigur der Beatrice steht stellvertretend für die allumfangende göttliche Liebe, die zahllosen historischen Figuren führen den mittelalterlichen Sündenkanon in allen Facetten vor und werden jeweils mit der sprichwörtlichen „poetischen Gerechtigkeit“ bestraft.
Dantes Werk lieferte die Vorlage für zahllose Adaptionen, Motive und weitere Werke: so etwa bildete die Geschichte des im Hungerturm verschmachtenden ehemaligen Despoten Ugolino, den die beiden Wanderer treffen, die Vorlage für ein gleichnamiges Drama des Stürmers und Drängers Heinrich Wilhelm von Gerstenberg. 1911 nahm sich der erste italienische Spielfilm überhaupt als Monumentalproduktion mit über 150 Darstellern des Stoffes an, die sprichwörtliche Höllenfahrt lieferte die Vorlage für zahllose weitere Reisen in die Unterwelt – und auch moderne Graphic Novels verarbeiten den Stoff: so etwa ergibt das auf den ersten Blick durchaus rätselhafte „Batman: Damned“ einigen Sinn, wenn man die alptraumhafte Reise Batmans im Sinne der Göttlichen Komödie liest.
In der hier vorliegenden Adaption konzentrieren sich die Macher Paul und Gaetan Brizzi (u.a. „Tolldreiste Geschichten“) ganz bewusst auf den ersten, zweifelsohne auch spektakulärsten Teil des Werks, das sie nach eigenen Worten einem modernen Publikum zugänglich machen wollten und dabei ganz bewusst einige Zusammentreffen und auch nicht mehr ganz zeitgemäße Erzählstrukturen auslassen. Optisch gestaltet sich die Höllenfahrt eindrucksvoll in Schwarz-Weiß, oft opulent großformatig, teilweise mit feinem Bleistiftstrich, mit einer Erzählstimme, die die Innensicht Dantes spiegelt, was laut den Brizzis eine Hybridform aus Graphic Novel und Bildband ergibt. So machen die illustrierten Klassiker wirklich Freude, zumal Splitter den Band im eindrucksvollen Großformat kredenzt. (hb)
Dantes Inferno
Text & Bilder: Gaëtan Brizzi, Paul Brizzi,
nach Dante Alighieri
152 Seiten in Schwarz-Weiß, Hardcover
Splitter Verlag
39,80 Euro
ISBN: 978-3-98721-158-4
