Infidel (Splitter)

September 22, 2020
Infidel (Splitter Verlag)

Nachts wird Aisha heimgesucht. Von Dämonen, die sie fühlen, die sie riechen und hören kann. Und doch sollen sie nur Produkte ihrer Träume sein. Alpträume – so echt? Zwar führt ihr Arzt diese auf Nebenwirkungen ihrer Medikamente zurück, doch schon bald wird Aisha auch tagsüber von monströsen Erscheinungen geplagt, die immer gefährlicher werden und realer nicht wirken können. Zuerst kleine Flashs, die dann immer intensiver werden. Hat das etwas mit dem Mietshaus zu tun, in dem sie mit Tom, ihrem Verlobten, dessen Tochter Kris und Leslie, der Schwiegermutter in spe, seit kurzem lebt? Denn das Haus war kürzlich Schauplatz eines der Presse nach islamistisch motivierten Anschlags, bei dem sechs Bewohner durch eine Bombe getötet wurden. Bald beginnen auch andere in Aishas Umfeld die Erscheinungen wahrzunehmen. Und während Aisha den Hintergrund des vermeintlichen Terroranschlags recherchiert, spitzen sich ihre „Alptraum-Visionen“ immer mehr zu, bis es erneut zur Katastrophe kommt und Aisha ins Koma fällt. Nun liegt es an ihren Freunden, allen voran an Medina, das Rätsel um das Horrorhaus zu lösen und Aisha zu retten…

Pornsak Pichetshote, der zuvor Redakteur bei DC/Vertigo war und dort diverse bekannte Reihen wie „Sandman“ oder „The Unwritten“ betreute, legt mit „Infidel“ seine erste Arbeit als Comicautor vor, die ganz in der Tradition der Spukhaus-Geschichten steht (vgl. „The Cat and the Canary“ oder „The Haunting“ im Film oder „Das Fleisch der Vielen“ im Comic). Aber eben nicht nur. Denn die Horror-Story ist eingebettet in den Alltag einer – unserer – Gesellschaft, in der platte rassistische Ressentiments und Vorurteile gang und gäbe sind: das beginnt mit Leslie, der die Religion ihrer fast-Schwiegertochter nicht geheuer ist und die in der U-Bahn instinktiv ihre Tasche fest umklammert, als ihr ein Schwarzer gegenübersteht. Und es endet in der Aussage einer Nachbarin, die die Muslima Aisha beschuldigt, aus religiösen Motiven eine Katastrophe verursacht zu haben. Rassismus ist allgegenwärtig, in der Familie, im Freundeskreis, bei den Nachbarn. Dazu befassen sich diverse Dialoge schon beinahe philosophisch mit dem Thema (ist es schon rassistisch, wenn man als Weiße nur Weiße als Partner sucht?).

Der Spukhaus-Horror beginnt langsam aber bestimmt und steigert sich genre-typisch kontinuierlich. Zuerst mit bekannt-beliebten Stilmitteln, wie Geräuschen hinter einer Tür, vermeintlichen Erscheinungen, Stromausfälle, Finsternis. Die Story überrascht dann mit einem frühen Wechsel in der Perspektive. Plötzlich steht Medina, Aishas beste Freundin, im Mittelpunkt, die gemeinsam mit ihrer Clique den Ursprung des Horrors zu ergründen versucht und somit ebenfalls lebensgefährliches Terrain betritt. Dabei schafft es Zeichner Aaron Campbell (u.a. James Bond, Harley Quinn), wirkungsvoll unterstützt durch Kolorist José Villarrubia, die zuerst abstrakt deformierten Monstrositäten immer figürlicher und schrecklicher werden zu lassen, die sich scheinbar willkürlich aus Wänden und Böden materialisieren und dabei den Horror-Viechern von Creature Makern wie Stan Winston oder Brian Yuzna nicht unähnlich sind. So gruselt sich der Leser an den Schockmomenten, als sich das Dämonengezücht Bahn bricht, wie auch an dem Alltagsrassismus, der schließlich auch für die Betroffenen eine Art von Horror darstellt und allen, auch uns, gleichzeitig einen Spiegel vorhält. Der Band beinhaltet mit Heft 1-5 die komplette, in den USA bei Image erschienene Miniserie. (bw)

Infidel
Text: Pornsak Pichetshote
Bilder: Aaron Campbell, José Villarrubia (Farben)
168 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24 Euro

ISBN: 978-3-96219-493-2

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