Gefährliche Liebschaften-Vorspiel, Band 1 (Splitter)

November 22, 2018

Frankreich zu Zeiten des ancien régime: der junge Sebastién wird von epileptischen Anfällen geplagt, die man aus der Not heraus mit eiskalten Bädern und anderen Nettigkeiten zu behandeln sucht. Auch insgesamt ist seine Stellung in der Familie als jüngster Sohn nicht gerade stark, weshalb seine Mutter ihn auf dem entlegenen Gut Malmaison gemeinsam mit ihren drei Töchtern wie eine Glucke beaufsichtigt. Sebastién flüchtet sich in Traumwelten und Insektenkunde, bis schließlich ein Besuch sein beschauliches Dasein durcheinanderwirbelt. Die Comtesse de Senange reist an, um zu überprüfen, ob ihr ältester Sohn nicht eine passende Partie für die Tochter des Hauses, Francoise-Marguerite, sein könnte. Die eiskalte Kalkulation dahinter: der Fürst von Malmaison plant, durch die Hochzeit seine Tochter in die „besseren Kreise“ einzuführen, während die Comtesse ihre klamme Kasse aufzufüllen gedenkt, indem sie ein hübsches Sümmchen als „Preis“ für die Hochzeit herausschlägt.

Auf der Heimreise trifft die gerissene Comtesse auf Sebastién, den sie ein Stück in ihrer Kutsche mitnimmt und eine erstaunliche Theorie eröffnet: alle Menschen tragen ihrer Philosophie nach ein Tier in sich, das die physiognomischen Züge und auch das Wesen bestimmt. Ganz nebenbei weckt sie das erotische Verlagen in Sebastién, der in der Folge immer wieder von zu Hause ausbüchst, um seine Angebetete zu treffen – die ihm aber lieber die kalte Schulter zeigt. Bei einem Ball soll dann Francoise-Marguerite in die hohe Gesellschaft eingeführt werden, ihre Schwestern sind mit Anstandshündchen Sebastién ebenfalls mit von der Partie. Der entdeckt dabei, dass sein Herr Papa alles andere als nur eine finanzielle Beziehung zur Comtesse hat: die Dame ist seine Mätresse – vielmehr war sie es, da der Gute sie für eine Jüngere sitzen lässt. Das nimmt ihm die Comtesse durchaus übel – was sich noch verschärft, als sie mit ihrer Nichte nochmals Malmaison aufsucht, um die letzten Details des Hochzeitshandels zu klären. Da nämlich dreht Sebastién den Spieß um, widmet sich der Nichte der Comtesse und bringt die kleine Unschuld zu ersten erotischen Eskapaden. Außer sich vor Wut, entspinnt die Comtesse eine Intrige: sie bringt ihren Sohn dazu, nicht wie versprochen Francoise-Marguerite zu ehelichen, sondern die nun besudelte Ehre seiner Cousine zu retten – und schickt sich dann an, die verhasste Familie Sebastiéns gesellschaftlich komplett bloßzustellen…

Mit seinen „Liaisons Dangereuses“ legte Choderlos de Laclos 1782 einen Meilenstein der erotisch-satirischen Literatur vor, die in Form eines Briefromans die damalige Hofgesellschaft des ancien régime als oberflächlich, egoistisch, manipulativ, geldgierig und erotoman persiflierte. Quasi das „Fifty Shades Of Grey“ seiner Zeit, avancierten die „Gefährlichen Liebschaften“ zum hinter vorgehaltenen Fächer gelesenen Sensations- und Skandalerfolg, dessen Publikum atemlos die Intrigen des Vicomte de Valmont und der Marquise de Merteuil verfolgten, die in einer Art Wette zwei tugendhafte Damen verführen wollen und dabei ganze Existenzen in den Abgrund reißen. Einem breiten Publikum bekannt wurde der Stoff dann 1988, als Stephen Frears die Theaterfassung von Christopher Hampton mit John Malkovich, Glenn Close, Michelle Pfeiffer, Uma Thurman und Keanu Reeves mit enormem Erfolg verfilmte und damit dem Altmeister Milos Forman die Butter vom Brot zog, dessen „Valmont“ dann 1989 nicht annähernd für die gleiche Furore sorge. So fein entfalteten John Malkovich als Valmont und Glenn Close als Marquise bei Frears die Intrigenwelt, dass wir bis heute in ziseliertem Pseudo-Akzent gerne den „Chevalier de Dunsany“ hochleben lassen.

Für die Adaption als Comic wählt Stéphane Betbeder (u.a. „Bunker“, „Dr. Watson“, auch bei Splitter) einen anderen Ansatz: in diesem auch so titulierten „Vorspiel“ konzentriert er sich auf die Vorgeschichte, in der allerdings die gleiche Verderbtheit wie bei Laclos herrscht: Kinder werden wie Vieh verschachert, Ehen bestehen nur auf dem Papier, über geschickte Winkelzüge versucht man ohne Rücksicht auf Verluste gesellschaftlich zu arrivieren. Im Gegensatz zum Roman, der seine Handlung in insgesamt 175 Briefen unterschiedlicher Autoren entfaltet und dabei auch gerne beim Leser einen Wissensvorsprung aufbaut, der in klassischem Suspense à la Hitchcock mündet, schildert Betbeder die Geschehnisse entweder auktorial oder in den Gedanken des Protagonisten Sebastién, die in Form von Notizen, die Tagebucheinträgen ähneln, auch optisch hervorgehoben sind.

Dass sich der eigentlich sehr idealistische Sebastién durch die Geschehnisse hin zu einer Hauptfigur der eigentlichen Geschichte von Laclos mausert, überrascht indes kaum. Stilecht und schön die optische Gestaltung von Djief (d.i. Jean-Francois Bergeron), dessen feinen Streich wir ja schon aus „Broadway“ kennen und der auch diese Story wieder ins rechte Licht rückt. Originell ist dabei vor allem der Einfall, zwei kleine Epiloge in der seinerzeit populären Form des Schattenspiels zu zeigen: „Das kleine Schauspiel von Malmaison“ sowie „Das tragische Ende der Comtesse de Senanges“ erscheinen als Scherenschnitt-Darstellung, wie man sie bei Hofe gerne zur Unterhaltung darbrachte. Wir sind gespannt, wie es nach diesem Vorspiel weitergeht – Band 2 ist bei Splitter schon in Vorbereitung. (hb)

Gefährliche Liebschaften – Vorspiel, Band 1: Hoffnung & Eitelkeit
Text: Stéphane Betbeder
Bilder: Djief
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
15,80 Euro

ISBN: 978-3-96219-232-7

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