Mechanika City! Bei der Eröffnungsfeier der Mechani-Con – DER Leistungsschau der viktorianisch-technologisierten Welt – bestaunt die Menge die Helio-Arx, ein gewaltiges Luftschiff, mit dem der finstere Waffenfabrikant Blackpool den luxuriösen Fernreise-Markt erschließen will. Unters Publikum gemischt haben sich auch die Cyborg-Agentin Lady Mechanika und ihr Kumpel Lewis, die immer noch auf der Suche nach Seraphina sind, der Tochter des Zirkus-Chefs Gitane, die von düsteren Gesellen entführt wurde. Mechanika, die nach wie vor darauf hofft, auch einen Hinweis auf ihre eigene Vergangenheit und die Herkunft ihrer mechanischen Gliedmaßen zu finden, lässt sich von Lewis in einem Gleiter über das gigantische fliegende Kreuzfahrtschiff bugsieren, springt ab und mischt sich unter das feiernde Volk des Maskenballs, der im Ballsaal veranstaltet wird. Sie staunt nicht schlecht, als sie nicht nur Gitane, sondern auch dessen zweite Tochter Arliquinn antrifft, die ebenfalls nach Seraphina und ihrem Freund Angelo suchen. Alsbald findet man in einer gesperrten Sektion des Schiffs in der Tat Hinweise auf die grausamen Experimente, mit denen Blackpool versucht, menschliche Körper mit metallenen Gliedern in Kampfmaschinen zu verwandeln – ein perfides Spiel, dem auch Angelo zum Opfer gefallen ist, der zu einer grotesken Erscheinung „umgebaut“ über den Trupp herfällt. Und damit nicht genug: Blackpool, der die Eindringlinge alsbald entdeckt, hetzt Mechanikas alte Feindin Commander de Winter auf die Meute. Dann aber tritt der geheimnisumwobene Cain auf den Plan, der nicht nur Seraphina, sondern auch die Lösung des grausigen Rätsels mit im Gepäck hat…
Szenenwechsel, tiefes Afrika: Mechanikas alter Bekannter Professor Thomsen sucht mit dem Deutschen Strassmann nach der sagenhaften verlorenen Stadt von Enki. In einem Artefakt hat Thomsen Hinweise auf die Schicksalstafel gefunden, einen der wertvollsten, legendären Schätze der Sumerer, dem er in einer verborgenen Höhle auch tatsächlich auf der Spur zu sein scheint. Da stellt sich ihm plötzlich ein Fremder in den Weg, der sich als Direktor Fleisch von der Polytechnischen Schule Paderborn vorstellt, der die weiteren Arbeiten „observieren und überwachen“ möchte. Auch zu Hause in London liegen die Dinge im Argen: Lady Mechanika ist gerade von einem höchst unzufrieden stellenden Auftrag zurückgekehrt, bei dem sie für ein paar adligen Gecken eine Art Abominable Snowman jagen durfte, als sie Thomsens Enkelin Winifred um Hilfe bittet: trotz mechanischer Vögel als Übertragungsmittel hat Winifred schon einige Tage lang nichts mehr von ihrem „Opi“ gehört, und ein Fiesling mit deutschem Akzent hat versucht sie zu entführen. Mechanika beruhigt sie zunächst und bringt sie zurück nach Mechanika City, wo sie allerdings feststellen muss, dass die Befürchtungen der kleinen Dame mehr als berechtigt sind: zwei deutschsprachige maskierte Männer schnappen sich Winifred – und obwohl Mechanika sofort die Verfolgung aufnimmt, bleibt ihr nur das Nachsehen und die Frage, wie diese ganzen mysteriösen Elemente wohl zusammenhängen…
Jules Verne mit Brillen auf dem Zylinder! Tomb Raider im viktorianischen Rock! Cyborgs und Monster, wohin das Auge blickt! Auch in den neuesten Kapiteln seiner Steampunk-Saga wirft Erfinder und Zeichner Joe Benitez (vormals in Diensten von Top Cow und DC) wieder munter viel Zutaten in den mechanischen Mixer und rührt daraus eine bunte Achterbahnfahrt, die optisch wie gewohnt einen Leckerbissen kredenzt. Die ersten beiden Kapitel dieses zweiten Albums enthalten die Teile 4 und 5 der Story „Das Geheimnis der mechanischen Leiche“, in der Lady Mechanika auf der Suche nach ihrer Vergangenheit, an die sie keine Erinnerung mehr hat, erstmals mit dem Waffenhändler Blackpool und Cain in Berührung kommt, aus dessen Experimenten sie wohl auch selbst entsprungen sein muss. Mit dem fantastischen Luftschiff Helio-Arx, gleichzeitig Hommage an das formidable Gefährt von Jules Vernes Robur dem Eroberer und Satire der modern-dekadenten Kreuzfahrtschiffe mit Suiten, Ballsaal und Einkaufsmeilen, auf denen bevorzugt adipöse Amerikaner Meere und Inseln verunsichern, steht dabei in dieser Geschichte noch die endlose Technik-Faszination im Mittelpunkt, die auch die Romane Vernes durchzieht und diese vom eher pessimistischen Blickwinkel eines H.G. Wells abhebt.
So richtig weiter kommt Mechanika auch hier ihrer Vergangenheit nicht, aber einige kleinere Verweise wie ein Notizbuch sowie ein geheimnisvolles Serum kann sie auftreiben – und ihr versoffener Partner Lewis erweist sich wieder mal als Retter in der Not. In der zweiten Storyline „Die Schicksalstafel“ aus der Feder von M. M. Chen wechselt der Fokus dann auf ein typisches Indiana-Jones-Setting: eine Expedition entdeckt Hinweise auf Artefakte, die dann im hintersten Winkel der Welt mit einigen Tricks auch entdeckt werden, bis dann ein deutscher Bösewicht auftritt, bei dem man beinahe denken möchte, er würde in jeder Sekunde „Aahh! Doktor Dschohns! Vie mit egen!“ ausrufen. Steinplatten, die man betreten muss, Spiegel, die in der richtigen Anordnung die Höhle ausleuchten und rasante Motorrad-Jagden verraten außerdem, dass Herr Chen wohl diverse Stunden mit einschlägigen Adventure Games um eine gewisse Miss Croft verbracht hat.
Star beider Erzählungen ist in jedem Fall die optische Gestaltung, die von Benitez selbst – und teilweise zusätzlich von Martin Montiel – erledigt nicht selten in Richtung pin up geht: die Technik begeistert Benitez ebenso wie die Damenwelt, was er im Kommentar zu den ersten Mechanika-Skizzen auch offen adressiert: „Ich liebe es, Frauen zu zeichnen, die stark und sexy sind.“ (Dr. Bachmaiers Beziehungsberatung empfiehlt diesen Typus im Übrigen auch im realen Leben – so etwas existiert nämlich auch jenseits des Nerdvanas namens Cosplay, wo Benitez sich wohl seiner Inspirationen holt. Versprochen!). Die Kolorierung fügt sich kongenial ein, was kaum verwundern dürfte: immerhin fungierte Peter Steigerwald auch als Haus und Hof-Färber für Michael Turner, mit dem auch Benitez bis zu Turners Tod zusammenarbeitete. (hb)
Lady Mechanika, Band 2: An Bord der Helio-Arx
Text: Joe Benitez, M. M. Chen
Bilder: Joe Benitez, Martin Montiel
128 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-521-3