Martin Eden (Knesebeck)

März 8, 2017

„Ein Mann will nach oben“. So hieß zwar ein anderer Roman, aber die Thematik von Jack Londons Klassiker wird auch mit diesem Titel gut umrissen. Martin Eden, seines Zeichens Seemann und dem angehörend, was man dieser Tage politisch korrekt (wahlweise auch manipulativ) gerne als „bildungsferne Schichten“ bezeichnet, rettet in einer Kneipenschlägerei dem feinen Herrn Arthur Morse durch beherztes Eingreifen den Hals. Der lädt den edlen Wilden daraufhin zum Abendessen ein – nur angeblich zum Dank, eigentlich eher, um die Familie zu amüsieren, aber die Dinge kommen ganz anders. Martin beginnt in einem herumliegenden Gedichtband von Algernon Charles Swinburne zu blättern und ist überwältigt von der poetischen Macht der Worte. Noch mehr angetan ist er allerdings von Ruth Morse, der Schwester von Arthur, die wider jede Erwartung und Konvention ihrerseits Gefallen an dem jungen Mann findet. Der durchläuft in der Folge eine radikale Wandlung: fast schon zwanghaft versucht er, sich die bildungsbürgerliche Welt zu erschließen, nicht zuletzt, um damit die Gunst von Ruth zu gewinnen.

In der örtlichen Bibliothek leiht er alles aus, was ihm unter die Hände kommt, er kauft sich vom knappen Geld eine Grammatik und ein Lexikon und beginnt seine autodidaktische Reise ins Reich der Bildung. Immer kritisch beäugt von seinem Schwager, der nur daran interessiert ist, dass sein Untermieter durch seine Lesestunden eine saftige Gasrechnung produziert, und unterstützt von seiner Schwester Gertrude, die ihm die Grundregeln des Benimms mit den Damen beibringt, achtet Martin zunehmend auf sein Äußeres und lässt sich von Ruth allzu gerne bei seinen Studien helfen. Nachdem er die Aufnahmeprüfung der Universität trotz aller Hartnäckigkeit nicht schafft, verdingt er sich wieder als Matrose und bereist die Südsee, um seine leere Geldbörse wieder aufzufüllen. Dort fasst er einen folgenschweren Entschluss: mittlerweile durchaus wortgewandt, will er nicht mehr einfach nur Bildung in sich aufsaugen, sondern seinen Erlebnisschatz zum Aufstieg verwenden. Mit hoher Energie macht er sich daran, Reportagen, Erzählungen und ganze Romane zu schreiben, die allerdings samt und sonders abgelehnt werden. Immer mehr verarmt, sieht sich Martin auch von Ruth verlassen, als sich plötzlich doch noch der Erfolg seiner Schriftstellerei einstellt – aber sein Glück bleibt weiterhin flüchtig…

In dem 1909 erscheinen Roman legte Jack London ein zutiefst autobiographisches Werk vor: wie sein Protagonist bezog auch London seine Bildung in erster Linie aus der Stadtbibliothek in Oakland, wo er sich unter der Anleitung der Bibliothekarin Ina Coolbrith hartnäckig Wissen aneignete, obwohl er schon mit 13 Jahren die Schule verlassen und arbeiten musste. Ebenfalls wie Martin legte London in seinen erfolgreichen Abenteuerromanen wie „White Fang“ (Wolfsblut), „Call of the Wild“ (Lockruf der Wildnis) und „The Sea-Wolf“ (Der Seewolf) seine eigenen Erlebnisse am Klondike und als Seemann zu Grunde, wobei vor allem im Seewolf das Motiv der hartnäckigen autodidaktischen Bildung (der scheiternde Übermensch „Wolf“ Larsen paukt sich sein Wissen durch stures Erlernen eines Lexikons ein) ebenfalls auftritt. Zeit seines Lebens hing London aufgrund seiner harten Kindheit zudem seiner eigenen Version des Sozialismus nach.

Auch das Schicksal des Martin Eden prangert letztendlich soziale Standards und Schranken des frühen 20. Jahrhunderts an, die auch London erleben musste: Eden gilt der bürgerlichen Oberschicht eher als Kuriosität, er imitiert ihr Äußeres und ihre Ausdrucksweise, ohne jemals ihre Akzeptanz zu finden, die er in fast schon tragisch determinierter Naivität in Form der Bildung zu erringen versucht, anstelle sich auf seine Stärken und Qualitäten zu besinnen. Erst als sich doch noch sein wirtschaftlicher Erfolg einstellt, wird er im buchstäblichen Sinne salonfähig – aber seine Identität als rauer, aber aufrechter und moralischer Naturbursche hat er auf diesem Weg verloren. Das Paradies, dem er schon in seinem Namen symbolisiert nachjagt, nur um gnadenlos vertrieben zu werden, ist nichts anderes als die gesellschaftliche Konvention des sozialen Aufstiegs, der in seiner Zeit ausschließlich durch Reichtum möglich ist – eine durchaus zeitlose Qualität, deren Hohlheit durch das ebenfalls zum Scheitern verurteilte Idealbild einer sozialistischen Ordnung konterkariert wird.

Den gleich mehrfach verfilmten Roman  (u.a. 1914 in einer Fassung, in der Jack London selbst mitspielte, 1942 mit Glenn Ford und 1979 in einem TV-Vierteiler, an den sich Jünglinge aus meiner Generation ebenso  gerne erinnern wie an den Fernseh-„Seewolf“ Raimund Harmstorf, der uns seinerzeit zum kläglich scheiternden Versuch animierte, eine rohe Kartoffel mit der Faust zu zerquetschen) fasst Denis Lapière („Mauro Caldi“, „Die schwarze Seite“, beides bei Salleck) effizient zusammen, mit Schlaglichtern auf die wichtigsten Szenen und zahlreichen Textpassagen direkt aus der Vorlage. Die Inszenierung brilliert unter der Feder von Aude Samama in einer betont künstlerisch-malerischen Ausprägung, die dem deutschen Expressionismus genauso verpflichtet ist wie den impressionistischen Meisterwerken eines Monet, Rodin und Gauguin, was sowohl zeitgenössisch als auch inhaltlich integriert ist: wie der Roman bemüht sich die Malerei der Jahrhundertwende um den Ausdruck des menschlichen Innenlebens. Form wird damit zum Teil des Inhalts, was immer ein Kennzeichen gelungener Kunst bietet. Der Band erscheint bei Knesebeck, dem Spezialist für hochwertige Graphic Novel-Adaptionen literarischer Werke (u.a. „Die Schachnovelle“, „Der alte Mann und das Meer“), in gewohnt liebevoller Aufmachung. (hb)

Martin Eden
Text: Denis Lapière, nach Jack London
Bilder: Aude Samama
176 Seiten in Farbe, Hardcover
Knesebeck Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-95728-049-7

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