Wonderball, Band 1 (Schreiber & Leser)

Oktober 3, 2016

Wonderball, Band 1 (Schreiber & Leser)

August 1983. Ein sonniger Tag in San Francisco. Und ein tödlicher. Von einem Dach aus erschießt ein Unbekannter, von dem jede Spur fehlen wird, in zehn Sekunden neun Menschen. Wahllos. Am Tatort findet Ermittler Spadaccini, genannt Wonderball, Patronenhülsen, die aus einem Carcano-Gewehr stammen. Mit dem gleichen Gewehrtyp wurde zwanzig Jahre zuvor JFK in Dallas ermordet. Und wieder gibt es Ungereimtheiten. Wie kann man mit einer so sperrigen Waffe (wurde nur bis 1945 gebaut) so schnell und so tödlich schießen? Spadaccini, der bei der Ermordung Kennedys im Secret Service war, ermittelt wieder in diese Richtung und trifft sich mit einem alten Kollegen, der schon damals Verschwörungstheorien aufstellte. Anschießend sucht er Robert Archer auf, den stellvertretenden Staatsanwalt, der ihm vor Jahren seine Frau ausspannte. Archer besitzt Unterlagen, die die Warren-Kommission, die seinerzeit das JFK-Attentat untersuchte, nicht aufführte. Berichte über Mittel und Experimente, die in den dreißiger Jahren von katholischen Wissenschaftlern durchgeführt wurden, mit dem Ziel, die körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu verbessern. Was zuerst abstrus klingt, entpuppt sich als heiße Spur, denn kurz darauf werden der Ex-Kollege und Robert Archer tot aufgefunden. Und Spadaccini entkommt nur knapp einem Anschlag…

Offenbar hatte sich das berühmteste Attentat der jüngeren amerikanischen Geschichte (das gerade eben erst in „Deep State“, Bd. 2 aufgegriffen wurde) für das Team von „Tag X: Wer ermordete den Präsidenten“ (dt. bei Panini) noch nicht erledigt. Wurde dort eine komplette Alternativ-Historie konstruiert (das Attentat fand zehn Jahre später statt und der Präsident hieß Nixon), begibt man sich hier in historische Gefilde und rührt kräftig in den Spekulationen und Gerüchten, die Kinogänger zum Teil bereits aus Oliver Stones faszinierendem Thriller „JFK – Tatort Dallas“ kennen – Stichwort Magic Bullet. Kann man mit einer vergleichbar einfachen und langsamen Waffe so schnell und präzise schießen? Auf ein bewegliches Ziel? Es scheint fast so. Denn bei seinen Ermittlungen stößt Spadaccini auf geheime Berichte über Versuche an Menschen, die – ähnlich wie Captain America – experimentell verbessert wurden und ruft damit einen mächtigen Feind auf den Plan, der sich gezwungen sieht, aus dem Schatten zu treten. Warum ausgerechnet jetzt einer dieser vermeintlichen Probanden Amok läuft, bleibt dabei noch im Dunkeln, ebenso wie die Motive jener noch nicht näher benannten Untergrund-Organisation. Und an der Oberfläche wütet Spadaccini, der auf seine ganz eigene Art versucht, den Täter dingfest zu machen, um ein weiteres Blutbad zu verhindern.

Natürlich spielt Wonderball auch mit Klischees. Da ist einmal der mächtige, noch nicht zu greifende Gegner, der nicht nur beträchtliche Geldquellen und fähiges Personal besitzt und dem eine noch unbekannte Graue Eminenz im Rollstuhl vorsteht, sondern der auch wie Hydra in den Marvel Comics überall seine Augen und Ohren hat – auch mitten in der Polizei – und so jederzeit unerwartet und tödlich zuschlagen kann. Und die Hauptperson, Inspektor Spadaccini, ist natürlich ein knorriger Einzelgänger und Einzelkämpfer. Einer, der mitunter auf Regeln und Kollegen pfeift, der seine unkonventionellen Ermittlungen durchzieht. Er blickt auf eine gescheiterte Ehe zurück, hat einen Sohn, den er kaum sieht und eine bewegte berufliche Vergangenheit als Korea-Veteran und Secret Service Agent, der beim Kennedy-Attentat im Einsatz war. Und der seinen Spitznamen Wonderball vom kiloweisen Verzehr der gleichnamigen Überraschungs-Schokokugeln hat (die zwar erst in den Neunzigern produziert wurden, aber egal…).

Zeichenveteran Colin Wilson setzt die Story wie immer gewohnt realistisch und routiniert in Szene. Von dem Neuseeländer, der immer gut im Geschäft ist, haben wir nicht nur seine beiden „Tag X“-Alben besprochen (mit „Die Kennedy Gang“ beschäftigt er sich abermals mit dem Thema, wenn auch erneut anders), sondern auch „Tex: Der letzte Rebell“ und „Blei im Schädel“. Bekannt wurde Wilson durch seine Arbeit an Blueberry, gutes Geld verdient(e) er auch mit seinen Beiträgen zum Star Wars Comic-Universum. Hier beeindruckt er mit der Darstellung San Franciscos in den Achtzigern als Kulisse für die Story, natürlich inklusive einer Verfolgungsjagd durch die charakteristischen Straßen. Im Vordergrund steht aber nicht die (dosiert vorhandene) Action, sondern eine sauber konstruierte, spannende Story, die historische Fakten mit Verschwörungs-Theorien kombiniert und die so für diverse, wirklich überraschende Wendungen sogt, was den neugierigen Leser ständig auf Trab hält. Band 2, der Reihe, die im „Alles Gute!“ Label von Schreiber & Leser erscheint, ist bereits in Vorbereitung. (bw)

Wonderball, Band 1: Shooter
Text: Fred Duval, Jean-Pierre Pecau, Fred Blanchard
Bilder: Colin Wilson
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Verlag Schreiber & Leser
14,95 Euro

ISBN: 978-3-946337-14-0

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